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Auf Sand gebaut? – Die jüdischen Siedlungen im Gazastreifen

„Der einseitige Trennungsplan von Ariel Scharon ist grausam!“ Aufgebracht macht Rachel Saperstein ihrem Herzen Luft. „Warum muss ich, nachdem wir hier dreieinhalb Jahre Krieg tapfer ausgehalten haben, jetzt mein Haus an die Familien der Selbstmordattentäter abgeben?!“, fragt die ältere Dame aus Neveh Dekalim, der „Hauptstadt“ des „Gusch Katif“, wie der jüdische Siedlungsblock im südlichen Gazastreifen genannt wird.

In 21 Siedlungen leben im Gazastreifen 2.000 jüdische Familien mit insgesamt fast 8.000 Menschen, manche bereits in der vierten Generation. Seit Ende der 60er Jahre haben jüdische Siedler „in einer Sandwüste mit Wanderdünen das Flaggschiff der israelischen Landwirtschaft“ aufgebaut, verkündet eine Broschüre des Landkreises „Chof Aza“.

Die Katif-Region hat sich in insektenfreien Gewächshäusern auf die Kultivierung von Gemüse und Kräutern spezialisiert, die weltweit exportiert werden. Andere Bewohner des Siedlungsblockes arbeiten in der Industrie, im Tourismus oder im Fischfang. Mehr als fünfhundert Israelis kommen als Studenten in den Gusch Katif, dessen Bildungswesen großes Ansehen genießt.

Nach den Plänen der israelischen Regierung sollen diese jüdischen Ortschaften im Rahmen der einseitigen Trennung von den Palästinensern verlegt werden. „Bis zum Jahresende 2005 wird es keine Juden mehr im Gazastreifen geben“, verkündete Premierminister Ariel Scharon. Ein Lenkungsausschuss soll bis spätestens 1. März 2005 einen Zeitplan für die Räumung des Gazastreifens und die Finanzierung des Unternehmens erstellen.

Bis 1. September 2005 haben die jüdischen Einwohner des Gazastreifens die Möglichkeit, freiwillig umzuziehen. Wer sich weigert, wird danach gewaltsam evakuiert und setzt damit sein Recht auf Entschädigung aufs Spiel. Bis Ende September soll auch die Umgruppierung der Armee und die Verlegung der Grenzübergänge Eres und Rafiah abgeschlossen sein.

Natürlich haben die Einwohner des Gusch Katif nach ihrer Evakuierung ein Recht darauf, frei zu wählen, wo sie sich niederlassen wollen. Die Regierung würde die Gazasiedler aber gerne in neuen Siedlungen in der Negevwüste, in Galiläa oder aber in die großen Siedlungsblöcke in der Westbank, dem biblischen Judäa und Samaria, umsiedeln.

Je nach Familiengröße, dem Zustand der Immobilien im Gusch Katif und dem künftigen Wohnort sollen die Siedler eine Entschädigung erhalten, im Schnitt umgerechnet 250.000 Euro pro Familie. Mit weiteren 250 Millionen Euro sollen Wirtschaftsbetriebe entschädigt werden. Ersten Schätzungen zufolge muss der israelische Steuerzahler 0,8 bis 1,2 Milliarden Euro für Entschädigungen und noch einmal rund 360 Millionen Euro für Sicherheitsauslagen berappen – wobei man natürlich auf die Hilfe der Amerikaner hofft.

Gespräche mit der UNO-Flüchtlingshilfsorganisation UNRWA, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sollen den Verkauf von israelischen Immobilien, wie beispielsweise des Eres-Industriegebietes, an internationale Organisationen vorbereiten, die diese Anlagen dann wiederum an die Palästinenser weitervermitteln können. Die internationale Gemeinschaft werde allerdings lediglich um Hilfe beim Wiederaufbau des Gazastreifens gebeten, nicht um Unterstützung bei der Umsiedlung von Juden.

Botschafter Salman Schoval geht davon aus, dass zwar öffentliche Gebäude zurückgelassen, die jüdischen Wohnhäuser im Gazastreifen aber zerstört werden. Gegenüber dem Washingtoner „Institute for Near East Policy“ meinte der Scharon-Berater, viele Israelis wollten keine palästinensischen Flaggen von jüdischen Häusern wehen sehen.

Wenn man den jüdischen Siedlern im Gazastreifen in den vergangenen Jahren zuhörte, überwogen „Lebensqualität“ und „wirtschaftliche Erfolge“ als Argumente für ihr Recht, im Gazastreifen zu leben. Angesichts der Tatsache, dass auf Sichtweite 5.000 Palästinenser pro Quadratkilometer leben, während sich im Gusch Katif 50 Israelis dieselbe Fläche teilen, erscheint das Argument „Lebensqualität“ nicht nur westlichen Ohren, sondern auch den meisten Israelis lächerlich. Und im Austausch für die von Ariel Scharon versprochenen „Frieden und Sicherheit“ lassen sich die „wirtschaftlichen Erfolge“ auch anderswo erzielen.

Was jahrelang an erklärender Propaganda versäumt wurde, soll jetzt das Komitee des Gusch Katif gegen die einseitige Trennung unter Leitung von Rafi Seri nachholen. Innerhalb der Siedlergemeinschaft, so hört man von verschiedener Seite, wird nicht darüber diskutiert, ob es Zeit sei, zu gehen, sondern wie man sich „Scharons Bombe“ effektiv entgegenstellen kann.

Ein Flugblatt appelliert an ein jahrtausendealtes Trauma des jüdischen Volkes: „Mehr als zwanzig Synagogen im Gusch Katif sollen über Nacht zu Hamas-Moscheen oder verbrannt werden!“ Autoaufkleber in ganz Israel verkünden: „Siedlungsräumungen sind ein Sieg für den Terror!“ Dabei schwingt vor allem die Befürchtung mit, dass der israelische Rückzug als Sieg der Extremisten gewertet werden könnte. „Der Räumungsplan wird die Entstehung eines Terrorstaates beschleunigen“, prophezeien die Siedler, und: „Wir ,Oslo-Absolventen‘ haben ein Jahrzehnt lang zugeschaut, wie der Terror zugenommen hat. Wir können nicht still bleiben, wenn dieser neue Plan in eine beispiellose Katastrophe führt.“

Von den 1,2 Millionen Palästinensern im Gazastreifen sind nach Angaben der Flüchtlingsorganisation UNRWA 923.000 Flüchtlinge. „Die wollen nicht nach Neveh Dekalim oder Netzarim“, weiß Siedlersprecher Dror Vanunu, „sondern nach Aschkelon, Aschdod und Ramle. Deshalb ist ein bloßer Rückzug aus dem Gazastreifen für diese Leute überhaupt keine Lösung ihres Problems.“

„Außerdem haben sich die Beziehungen zu den palästinensischen Nachbarn erst seit den Abkommen von Oslo merkbar verschlechtert“, erklärt Vanunu, der eigentlich in Politikwissenschaft promovieren möchte. „Vor Oslo war der Gusch Katif eine Brücke des Friedens. Wir haben uns frei in den arabischen Städten und Dörfern bewegt. Viele von uns haben den Führerschein in Gaza oder Chan Junis gemacht. Vor Oslo hatte die Sicherheitsorganisation der Siedler zwei Subaru – jetzt werden wir von 2.000 Soldaten bewacht.“ Die „Mu´asim“, die Beduinen, die bis heute nicht durch Zäune von ihren jüdischen Nachbarn getrennt sind, haben nach Aussagen von israelischen Journalisten Angst vor dem Rückzug, „weil dann die Leute Arafats kommen und sich alles nehmen.“

„Von den 8.000 jüdischen Bewohnern des Gazastreifens sind es vielleicht 30 Familien, die darauf warten, eine Entschädigung zu bekommen und gehen zu können“, schätzt der Mitarbeiter eines israelischen Nachrichtensenders. „Und das sind vor allem diejenigen, die hier wirtschaftlich nicht Fuß fassen konnten“, fügt Dror Vanunu hinzu. Statt sich auf den Abzug vorzubereiten, gibt es jüdische Familien, die sich gerade jetzt im Gazastreifen niederlassen. In der ersten Jahreshälfte 2004 zogen fünf Familien in Tel Katifa ein. Kfar Darom hat eine Warteliste von 20 Familien. Und Dugit baut sechs Häuser für Familien, die sich angemeldet haben.

Dror Vanunu erklärt den Trennungsplan Scharons für demokratisch bankrott. Nachdem vor zwei Jahren Amram Mitzna und die Arbeitspartei mit einem Trennungsplan den Wahlkampf verloren haben, sprachen sich Anfang Mai 61 Prozent der Parteigenossen Scharons gegen den Plan aus, Juden aus ihren Häusern zu vertreiben. Letztendlich konnte Ariel Scharon seinen Räumungsplan innerhalb des Kabinetts nur dadurch durchsetzen, dass er zwei Minister entließ.

Der Knessetabgeordnete Effi Eitam, ehemaliger Kabinettsminister und Vorsitzender der nationalreligiösen Partei (NRP), greift die verlockenden Kompensationsverheißungen an: „Niemand soll auch nur die Hände ausstrecken, um dieses unreine Geld in Empfang zu nehmen.“ Vielmehr sollten „die Entschädigungsunterhändler von vornherein hinausgeworfen werden.“ Rabbi David Druckman aus Kirjat Motzkin bezeichnet Entschädigung als „zynische Übersetzung von Bestechung“ – und nach jüdischem Gesetz sei es verboten, Bestechungsgelder anzunehmen.

Der chassidische „Sanzer Rebbe“, Rabbi Zvi Elimelech Halberstam, zeichnete Mitte Juni bei einem Besuch bei David Hatuel kein so schwarzes Zukunftsbild für die jüdische Besiedlung des Gazastreifens. Hatuel, dessen schwangere Frau und vier Töchter von Palästinensern erschossen worden waren, sagte der prophetisch veranlagte Rabbiner voraus, es werde keinen Rückzug aus dem Gusch Katif geben. Vielmehr würde die jüdische Besiedlung des Gazastreifens erweitert.

Für den traditionellen jüdischen Trauertag aus Anlass der Zerstörung des Tempels, dem „Tisch´ah Be´Av“, der in diesem Jahr auf den 27. Juli fällt, planen die Siedler eine Menschenkette vom Gusch Katif bis zur Westmauer in Jerusalem, dem letzten greifbaren Überrest des jüdischen Tempels. „Wer nicht versteht, dass der Gusch Katif das Tor zu Hebron und Jerusalem ist“, fasst Dror Vanunu zusammen, „der versteht überhaupt nichts.“

Jüdische Wurzeln im Gazastreifen

Wie orthodoxe Juden ihren Anspruch auf den Gazastreifen rechtfertigen

– Gott verheißt Abrahams Nachkommen das Land „von dem Strom Ägyptens an bis an den großen Strom Euphrat“ (1. Mose 15,18), d.h. einschließlich des Gazastreifens.

– Gegenüber Josua wird diese Verheißung ausdrücklich mit Bezug auf dieses Gebiet bestätigt (Josua 13,2), das nach Josua 15,47 zum Stamm Juda gehört.

– Richter 1,18 berichtet davon, dass Israel Gaza erobert hat.

– In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts vor der Zeitrechnung, in der Zeit der Hasmonäer, sind jüdische Gemeinden in der Gegend um Gaza bezeugt. Die jüdische Tradition verpflichtet die jüdischen Bewohner Gazas als Einwohner des verheißenen Landes Israel zur Abgabe des biblischen Zehnten.

– Im 4. Jahrhundert nach der Zeitrechnung scheitert die Absicht Kaiser Konstantins, in Gaza eine christliche Kirche zu bauen, am Widerstand der jüdischen Bevölkerung. Zu jener Zeit war Gaza der wichtigste Handelshafen der jüdischen Bevölkerung im Heiligen Land. Überreste einer Synagoge aus byzantinischer Zeit wurden ausgegraben.

– Die einflussreichen Rabbiner Israel Nadschara, Autor des beliebten Schabbatliedes „Kah Ribon Olam“, und der als „Mekubal“ bekannte Rabbi Avraham Asoulai waren in der Gegend um Gaza zuhause.

– Zwischen 1885 und dem Ersten Weltkrieg lebten in Gaza Juden.

– 1929 wurde die erneuerte jüdische Gemeinde in Gaza während der arabischen Unruhen ausgelöscht.

– 1946 bis 1948 existierte bereits die jüdische Siedlung Kfar Darom in der Gegend einer antiken jüdischen Siedlung desselben Namens, die aus der talmudischen Literatur bekannt ist.

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