Das Vorgehen von Israels Premierminister Ariel Scharon ist für viele Beobachter ein einziges Polit-Theater. Es grenzt an Absurdität, wie Scharon seinen Räumungsplan der jüdischen Siedlungen im Gazastreifen und Teilen des Westjordanlandes durchsetzen will. Ob sein Plan jedoch aufgeht, ist fraglich.
Doch der Reihe nach. Versetzen wir uns in die Pläne des erfahrungsreichen Strategen. Die Widerstände, die seit der Bekanntgabe des Räumungsplanes durch Scharon Anfang diesen Jahres aufloderten, sind zahlreich. Nicht nur orthodoxe Parteien und Rabbiner in Israel, auch Mitglieder des Likud-Blocks haben in den vergangenen Monaten keine Gelegenheit ausgelassen, gegen die Pläne Scharons zu protestieren. Beeindruckende Menschenketten wurden organisiert, um die Kritik der Siedler deutlich zu machen.
Vertreter der religiösen Parteien lehnten jeden Kompromiss deutlich ab und brandmarkten Scharon öffentlich als „Zerstörer von Siedlungen“. Likud-Abgeordnete – allen voran Finanzminister Benjamin Netanjahu – opponierten gegen ihren Partei-Chef und riefen dazu auf, Scharon jegliche Unterstützung zu verweigern. Andere hingegen – wie Verteidigungsminister Schaul Mofas – stellten sich hinter den Regierungschef und leisteten mit ihm fortwährende Überzeugungsarbeit, meist jedoch ohne Erfolg.
Unterstützer verprellt…
Scharon hatte in seiner Regierungskoalition zudem einen starken Partner, der seine Räumungspläne vorbehaltlos unterstützte: die säkulare Schiuni-Fraktion. Josef „Tommy“ Lapid kann für die Existenz von Juden im Gazastreifen, in Judäa und Samaria traditionell kein Verständnis aufbringen und unterstrich die Chance für einen Neubeginn für den Frieden, die eine Räumung mit sich bringe.
Doch bei aller Unterstützung, die Scharon für seinen Plan von vielen Getreuen erhalten hat, will er einen gewichtigen Widerstand aus dem Weg räumen: den der orthodoxen Parteien, die für die Interessen der Siedler eintreten und demzufolge der Existenz von jüdischen Ortschaften im Gazastreifen kein Ende setzen wollen. Um sich nun deren Unterstützung zu sichern, will Scharon orthodoxen Organisationen und Einrichtungen in Israel umgerechnet rund 50 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt zukommen lassen. Geld, über das sich viele der Gruppen und Werke sicher freuen dürften. Doch dafür müssen sie die Räumung der Siedlungen in Kauf nehmen, die sie bislang vehement verteidigt haben.
Natürlich ist diese exorbitante Summe auch im Haushaltsentwurf für das Jahr 2005 berücksichtigt, neben den Kompensationszahlungen an jüdische Einwohner, die freiwillig ihre Häuser und Wohnungen im Gazastreifen verlassen und den Summen, die der Räumungsplan den israelischen Steuerzahler kosten wird. Diesen Haushaltsentwurf lehnte jedoch die in der vergangenen Woche zerbrochene Regierungskoalition ab: Schinui-Chef Lapid kritisierte die vorgesehenen Zahlungen an religiöse Einrichtungen zu Recht als „Erpressung“. Doch auch diese Kritik prallte an dem Strategen Scharon ab – er löste schlicht die Regierung auf und gründet in absehbarer Zeit eine Koalition mit der Arbeitspartei.
…Kritiker stillgelegt
Durch die große Koalition sichert sich Scharon nicht nur die „erfolgreiche“ Abwicklung des Rückzugsplanes, sondern auch seinen eigenen Posten als Premierminister. Neuwahlen sind nicht mehr nötig, und der hinter seinem Rücken lauernde Netanjahu ist bis auf weiteres ruhiggestellt. Gleichzeitig freut sich auch Schimon Peres, der sein politisches Amt als Vorsitzender der Arbeitspartei nicht kampflos an den früheren Premier Ehud Barak abgeben muss.
Scharons Polit-Theater dient nichts anderem als der Sicherung seiner Macht als israelischer Regierungschef, die letztlich von der Umsetzung des Gaza-Rückzuges abhängt. Schon lange wird in der israelischen Politik die Vielfalt der Meinungen nicht mehr respektiert. Im Gegenteil, Kritik lässt Scharon schlicht nicht zu und stellt seine Gegner durch Rauswurf aus der Regierung oder durch schmeichelnde Einladungen in die Koalition kalt. Je undurchdringlicher und verwirrter jedoch Scharons Vorgehen wird, umso riskanter werden auch seine Pläne. Und umso fraglicher bleibt es, ob diese durchgesetzt werden.