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Arafat: Das Ende der Legende

Pressekonferenz in Gaza-Stadt – Mohammed Dahlan informiert Korrespondenten über Sicherheitsfragen; als mächtiger und gefürchteter Geheimdienstchef hat er dazu etwas zu sagen. Bis ein Adjutant mit einem Mobiltelefon hereinstürmt, aus dem laut eine Stimme etwas auf Arabisch krächzt. „Das ist der Rais“, flüstert jemand. Der „Rais“, arabisch für Präsident, ist Yasser Arafat. Dahlan lauscht, sagt leise: „Na´am“ („Jawohl, wird erledigt“) – und rennt ohne Erklärung davon. Arafat ruft, dafür läßt man in Gaza gern einmal die Weltpresse sitzen. Ein Kollege murmelt: „So, damit wäre geklärt, wer das Sagen hat.“ Das war einmal.

Yasser Arafat war das Gesetz in den palästinensischen Autonomiegebieten. Auch wenn er öffentlich gern mit seiner eigenen Schwäche kokettierte, etwas für „nicht durchsetzbar“ erklärte oder seine „Hände gebunden“ sah. So hätte es weitergehen können. Israel kann Arafat nicht wirklich gefährlich werden, so lange der Palästinenserführer international breite Unterstützung für seinen vermeintlichen Friedenskurs genoß. Daß der alte, kranke Mann jetzt vor dem Karriere-Ende zu stehen scheint, schreiben politische Beobachter allein Arafats Neigung zum Taktieren zu. Er hat überreizt.

US-Präsident George W. Bush hatte sich vor Wochen erstmals öffentlich für ein unabhängiges Palästina eingesetzt, weil das Weiße Haus im Kampf gegen Terror den Rücken frei haben möchte. Gleichsam zum Dank zündeten Palästinenser daraufhin Bomben, töteten in Haifa und Jerusalem 22 Israelis. Das Attentat vom Mittwoch mit zehn Toten und die Bombenexplosion zwischen Jerusalem und Ramallah auf der Fahrtroute des amerikanischen Sondergesandten Anthony Zinni brachten in Washington offenbar das Faß zum Überlaufen: George W. Bush senkte den Daumen. Darauf hatte Israels Premierminister Ariel Sharon nur gewartet. Am Telefon mit dem türkischen Premierminister, Bülent Ecevit, träumte er laut von einem Nahen Osten ohne Arafat. Politiker in Jerusalem wiederholen mantrenartig, Ziel der jüngsten Offensive sei nicht, die Autonomiebehörde der Palästinenser zu zerschlagen. Aber den greisen Palästinenserführer brauche man nicht mehr. „Arafat ist irrelevant“, heißt es offiziell. Deshalb haben sie seine Hubschrauber zerstört, deshalb Hausarrest und israelische Panzer vor dem Regierungssitz. Das Ende einer Legende?

„Der Mann ist kein Politiker, er ist ein Mythos.“ Freunde und Feinde Yasser Arafats kommen zum gleichen Ergebnis. Und ein Mythos ist laut Definition eine Person, die aus meist verschwommenen und irrationalen Vorstellungen heraus glorifiziert wird und so einen legendären Charakter erhält.

Die Beschreibung trifft zu auf den Mann, der sich zwischenzeitlich vom Meistgesuchten zum Meistbewunderten gemausert hatte. Niemand hat mehr Waffenstillstände geschlossen und wieder gebrochen, niemand stand so oft im richtigen Moment auf der falschen Seite – und kein anderer war so oft tot gesagt – und feierte doch stets eine politische Auferstehung. Wer sonst hat zuerst Terror befohlen und anschließend den Friedensnobelpreis bekommen, bevor ein Friedensvertrag unterzeichnet war? Wer hat mehr Attentate überlebt? Niemand stand so oft vor der Gründung eines eigenen Staates und hat es regelmäßig vermasselt. Das alles ist Yasser Arafat, der genau genommen nicht einmal „Präsident“ ist. „Vorsitzender der Palästinensischen Autonomiebehörde“ lautet der offizielle Titel.

Mythen sind schwer zu beschreiben, auch das stimmt. Bei Arafat beginnt dies schon mit der Geburt. Am liebsten wäre er in Jerusalem geboren, wo seine Familie herstammt. Die heilige Stadt vermerken gefällige Biografen gern als Geburtsort. Andere schreiben von Kairo – und haben damit wohl eher recht. Auch das Geburtsjahr ist umstritten. Wie alt ist Arafat? 71 Jahre, 73 Jahre – noch älter? Auch hier gibt es Raum für Spekulationen. Aufgewachsen ist der Sproß der mächtigen Husseini-Sippe im Schatten des Felsendoms. Ein Großonkel, Haj Amin el-Husseini, war Großmufti im Heiligen Land. Im zweiten Weltkrieg war er Hitlers Gast in Berlin, führte dem „Führer“ ein Bataillon moslemischer Kosovoaren und Albaner zu.

Enttäuscht und angerührt vom Elend der Araber im Heiligen Land, wurde der junge Yasser zum glühenden Nationalisten. Er sah sein Volk verraten von allen: von Israel, den Westmächten – vor allem jedoch von Jordanien. Das Haschemitische Königreich im Osten hatte sich einfach Ostjerusalem und die Westbank einverleibt, statt dort für einen unabhängigen arabischen Staat zu sorgen. Nach dem Studium und ein paar Berufsjahren am persischen Golf, wandte sich der Bauingenieur Arafat seiner eigentlichen Passion zu – der „Befreiung Palästinas“.

Er machte in den 70-er Jahren den bis dato unbekannten Begriff „Palästinenser“ zum Markenzeichen. Seine landläufig „Palästinensertuch“ genannte Keffiye schlang er so um den Kopf, daß die Zipfel wie die Landkarte des erträumten Palästinas aussahen. Ein Land, das „vom Mittelmeer bis zum Jordan“ reicht. Für Israel war da kein Platz. Arafat befahl Flugzeugentführungen, Überfälle auf Busse und Schulen – und bis heute ist der Verdacht nicht vom Tisch, daß er seinem Genossen Abu Daoud den Befehl zum Überfall auf das Olympische Dorf 1972 in München gab.

Als er König Hussein von Jordanien offen die Machtfrage stellte, ließ der kleine Haschemit seine Beduinenkrieger anrücken. Sie erteilten Arafats Fatah-Kämpfern eine blutige Lehre. „Schwarzer September“ heißt diese Episode seitdem in den Geschichtsbüchern. Geschlagen flüchtete der Palästinenserführer 1970 in den Libanon. Im Süden des Landes schuf er eine neue Machtbasis: „Fatah-Land“. Von dort aus bekämpfte er Israel und die mühsam zwischen maronitischen Christen, Moslems und Drusen ausbalancierte libanesische Regierung in Beirut. Sechs Jahre später lag die „Schweiz des Nahen Ostens“ in Trümmern, zerstört in einem blutigen Bürgerkrieg, an dem sich Arafats Kämpfer beteiligten. 1982 schließlich schien Arafats Stern endgültig zu versinken. Ohne sein geliebtes „Palästinsertuch“ verließ er mit seinen von Israel geschlagenen Kämpfern Beirut auf einem Schiff in Richtung Tunis. Und ohne Pistole, mit der er sogar vor der UN-Vollversammlung aufgetreten war.

Kein ernst zu nehmender politischer Beobachter wäre damals die Wette eingegangen, daß Yasser Arafat mehr als ein Jahrzehnt später auf dem Rasen des Weißen Hauses in Washington stehen und einen Vertrag mit dem jüdischen Erzfeind abschließen würde. Er bekam zuerst Gaza und Jericho, später weitere Städte und Gebiete. Im Gegenzug anerkannte er Israels Existenz. Und zwar nur die unbestreitbare Existenz des Sechs-Millionen-Staates. Ob er freilich das Recht des jüdischen Staates auf seine Existenz anerkennt, ist eine offene Frage.

Man muß genau zuhören, wenn Arafat redet. Vor allem dann, wenn er Arabisch spricht. Die Aussagen in seiner Muttersprache klingen oft ganz anders als die offiziellen englischen Verlautbarungen. Was vor der Weltpresse „Friedensprozeß“ heißt, deuten die eigenen Leute nicht selten als „Heiliger Krieg“.

Während bislang viele Palästinenser den Kopf senkten und lieber nicht auf Fragen nach Arafat antworten wollten, werden einige in diesen Tagen mutiger. Fast gotteslästerlich für die Ohren der Agenten von Arafats mehr als einem Dutzend Sicherheitsdienste fragt ein Krämer in Ostjerusalem: „Im Libanon und in Jordanien hat Arafat Zehntausende geopfert für seinen Traum vom eigenen Staat. Wie viele müssen diesmal sterben?“

Viele geben mittlerweile dem „Rais“ die Schuld für Arbeitslosigkeit und Korruption. Nur Arafat kennt alle Konten. Er weiß auch, wer sich bestechen läßt und wie man ihn später damit gefügig machen kann. Im Ostteil Jerusalems, wo seine Macht nie wirklich groß war, reden die Leuten halbwegs offen – und wollen doch lieber anonym bleiben. „Soll er doch zu Suha gehen – dann ist er wenigstens fort“, sagt einer. Arafats Ehefrau lebt in Paris. Dorthin wünschen nicht wenige ihren „Rais“. Aber der will nicht zu Suha, sondern Präsident werden. Daß der alte Kämpfer die junge Suha heiratete, hatte seinerzeit nicht wenige Genossen überrascht. Zuvor gab es Gerüchte, Arafat mache sich nichts aus Frauen.

Vor anderthalb Jahren, in Camp David, hätte er seinen Staat haben können. 95 Prozent der Westbank, der ganze Gazastreifen und ein Mitspracherecht in Jerusalem waren ihm zu wenig. Er wollte Israel noch die Rückkehr von zwei Millionen Palästinensern nach Haifa, Jaffa und andere Städte aufdrücken. Realpolitik ist eben nichts für eine Legende. Mythen können sich nur selbst zerstören.

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