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Anschlag auf die Verkündigungsbasilika in Nazareth

Am Spätnachmittag des 3. März 2006 betraten Chaim Elijahu und Violet Chavivi mit ihrer 20-jährigen Tochter Odelia die Verkündigungsbasilika in Nazareth. Niemand kontrollierte sie oder den Kinderwagen, den sie bei sich führten. Man hielt sie für christliche Beter, die den Gottesdienst zu Beginn der Fastenzeit besuchen wollten. Doch in dem Sportwagen war kein Kind, sondern Feuerwerkskörper und ein Benzinkanister.

Gegen 17.30 Uhr zündeten sie die Feuerwerkskörper, die sie wenige Stunden zuvor in Tel Aviv gekauft hatten. In dem Tel Aviver Hotelzimmer, in dem sie sich vor dem Anschlag aufgehalten hatten, wurde noch ein Benzinkanister gefunden. „Wir hörten eine Explosion“, erzählt die Gottesdienstbesucherin Ruan, „und dann folgten sechs oder sieben Minuten lang weitere Explosionen. Ich dachte, wir müssten sterben.“

Bei den Ausschreitungen, die unmittelbar auf die Tat in der Nacht vom Freitag auf den Samstag erfolgten, wurden 13 Polizisten und 13 Bürger aus Nazareth verletzt, sowie vier Autos in Brand gesteckt, darunter zwei Polizeifahrzeuge. Tausende von aufgebrachten Nazarethern versuchten, die Verkündigungsbasilika zu stürmen, um der Attentäter habhaft zu werden. Ein großes Polizeiaufgebot, darunter Spezialeinheiten, bemühte sich, mit Tränengas die Menge aufzulösen und einen Lynchmord zu verhindern. Nach mehr als drei Stunden konnten die drei Chavivis schließlich aus der Kirche geschmuggelt werden. Ersten Berichten zufolge seien sie durch unterirdische Gänge herausgebracht worden, später war davon die Rede, sie seien als Polizisten verkleidet worden.

Anfangs stritten der 44-jährige Chaim Elijahu Chavivi und seine Frau Violet jede Verbindung zu der Tat ab. „Ich habe überhaupt nichts gegen das muslimische Volk und gegen das christliche Volk“, beteuerte Chaim, der bei den Auseinandersetzungen in der Verkündigungsbasilika offensichtlich einiges abbekommen hatte und eine Augenklappe über dem linken Auge trug. Seine Frau Violet wirkte trotzig: „Ich habe überhaupt nichts zerstört!“

Ihre älteste Tochter Odelia gab von Anfang an eine andere Version zu Protokoll. Sie hätten durch ihre spektakuläre Tat auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Familie und die Diskriminierung durch die Sozialbehörden aufmerksam machen wollen. Odelia Chavivi erklärte, ihr Vater habe eine Kirche für den Anschlag ausgesucht, um die Welt zu schockieren. Vor Gericht bestätigte das Ehepaar dann, dass es ihnen einzig darum gegangen sei, das Sorgerecht für ihre Kinder zurückzubekommen.

Die Polizei kam schon nach ersten Ermittlungen zu dem Schluss, dass die Entscheidung eines Jerusalemer Sozialamts, dem Ehepaar Chavivi auch das Sorgerecht für ihre dritte, zweieinhalbjährige Tochter zu entziehen, der Auslöser war. Die Sozialarbeiter halten das wohnsitzlose Ehepaar nicht für fähig, seine Kinder angemessen aufzuziehen.

Laut Polizeiangaben sind die Chavivis keine religiösen Extremisten, sondern haben psychische Probleme. Trotzdem geht die Polizei dem Verdacht nach, dass die Familie Chavivi im Auftrag anderer gehandelt haben könnte. Bislang konnte allerdings nicht nachgewiesen werden, dass die Chavivis einer rechtsextremen Gruppierung angehören, wie anfangs befürchtet worden war.

Am darauffolgenden Samstag demonstrierten Tausende von israelischen Arabern auf den Straßen Nazareths. Sie schwenkten palästinensische Flaggen und auf Plakaten stand zu lesen: „Israel brütet Hass aus“, „Tod den Juden“ und „Sie beschuldigen uns des Terrors und üben selbst Terror aus!“ Im Umkreis von Nazareth war ein großes Polizeiaufgebot in Stellung gegangen. Die Polizei befürchtete, dass die Demonstrationen außer Kontrolle geraten könnten. Der amtierende israelische Premierminister Ehud Olmert hatte den Sicherheitskräften befohlen, sich aus dem Stadtzentrum fernzuhalten, um Ausschreitungen zu vermeiden. Wegen der gespannten Atmosphäre verschob die Polizei elf Fußballspiele, die am Wochenende in Nordisrael hätten stattfinden sollen.

Bis zum Samstagabend hatte sich eine gespannte Ruhe über Nazareth gelegt. Der Jerusalemer lateinische Patriarch, Michel Sabach, führte einen Protestmarsch durch die Stadt, in der Jesus aufgewachsen ist. Das geistliche Oberhaupt der Katholiken im Heiligen Land hatte zuvor verlauten lassen, „diese furchtbare Tat“ sei „den rassistischen Sichtweisen und der wilden Hetze gegen Christen“ in der israelischen Gesellschaft entsprungen. Gegen Ende der Demonstration meinte Michel Sabach, Israels Existenz hänge von den Beziehungen der ethnischen Gruppen ab und forderte von der Regierung, allen Seiten zu ermöglichen, in Frieden nebeneinander zu leben.

Der neugewählte katholische Bischof von Galiläa, Elias Schakur, verurteilte die Tat als „bösen Anschlag auf eine der heiligsten Stätten der Christenheit“. Der Vikar des lateinischen Patriarchen in Nazareth, Boulos Rececinto Marcuzzio, stellte eine Verbindung zu einem Pogrom her, das Drusen im Februar 2005 im galiläischen Maghar gegen ihre christlichen Nachbarn veranstaltet hatten, und meinte: „Diese Ereignisse lassen uns darüber nachdenken, um rechtlichen Schutz nachzusuchen.“ Zu den Ausschreitungen in Maghar, bei denen 53 Häuser und mehr als 200 Autos zerstört wurden und ein Sachschaden von schätzungsweise 40 Millionen US-Dollar entstanden ist, war es gekommen, nachdem Drusen Gerüchte verbreitet hatten, Christen hätten Nacktbilder von drusischen Mädchen konstruiert und ins Internet gestellt. Die Vorwürfe konnten nie bewiesen werden.

Israels Außenministerin Zippi Livni rief ihren vatikanischen Amtskollegen Monsignor Lajolo an und beteuerte, Israel werde alles tun, um die Situation um die Verkündigungsbasilika unter Kontrolle zu bekommen. „Wir werden alles tun, um die Heiligen Stätten aller Glaubensrichtungen zu schützen“, wird Livni in der Presse zitiert. Und der israelische Staatspräsident Mosche Katzav sprach nach Schabbatausgang mit dem Kustos des Heiligen Landes, Fr. Pierbattista Pizzaballa, und versprach, ähnliche „außergewöhnliche Zwischenfälle“ künftig zu verhindern.

Der designierte palästinensische Premierminister Ismail Hanije von der Hamas beschuldigte „die Kultur des Hasses, die der Staat Israel seinen Bürgern eintrichtert, gegen die Palästinenser und religiöse Stätten des Islam und des Christentums“.

Arabische Mitglieder der Knesset meldeten sich reihenweise zu Wort. Taleb a-Sanaa von der Vereinigten Arabischen Liste machte am Samstagvormittag im Radio „Kol Israel“ die „wilde rechtsextreme Hetze“ und die Regierungspolitik gegenüber den Arabern für den Anschlag verantwortlich. Sein Parteikollege, der arabische Arzt Dr. Achmed Tibi, prangerte „die Krankheit des Rassismus gegen Araber, Muslime und Christen“ an, die dazu führten, dass verrückte jüdische Extremisten Moscheen anzünden oder Kirchen in die Luft sprengen. Und der Nazarether christlich-arabische Knessetabgeordnete Asmi Bischara (Balad) meint: „Wenn wir nicht gerade eine Übergangsregierung hätten, würden wir den Rücktritt des Regierungschefs fordern.“

Der arabische Knessetabgeordnete Mohammed Barakeh von der Chadasch-Partei stellte die Frage, „wer wohl als nächstes an der Reihe ist“, und sieht als Hauptverantwortliche für den Anschlag die israelischen Sicherheitskräfte, die derartige Leute hätten festnehmen sollen. Tatsächlich hat das Ehepaar Chaim Elijahu und Violet Chavivi eine Geschichte von extremistischen Taten und niemand weiß so recht, wie sie ungehindert in die Verkündigungsbasilika gelangen konnten.

Polizeichef Mosche Karadi gab laut der Tageszeitung „Ha´aretz“ zu, dass Chavivi polizeibekannt gewesen sei und im Verdacht gestanden habe, einen derartigen Anschlag zu planen. Vor vier Jahren hatte die Familie Chavivi bei Jasser Arafat in Ramallah um politisches Asyl gebeten und war dann eine Zeitlang in der palästinensischen Autonomiestadt Jericho. Sie erklärten den Palästinensern, die Israelis wollten ihnen ihre Tochter wegnehmen. Im Jahr 2003 verschanzten sie sich in der Geburtskirche in Bethlehem und drohten, diese älteste Kirche des Landes in die Luft zu sprengen, sollte ihnen ihre Tochter nicht zurückgegeben werden. Später hatte Chaim Elijahu Chavivi auch versucht, einen Anschlag auf die Grabeskirche in Jerusalem zu verüben.

Bemerkenswert ist, dass selbst die israelischen Medien fast ausschließlich von einer „jüdischen Familie“ reden, die den Anschlag auf die Verkündigungsbasilika in Nazareth verübt hat, obwohl Chaim Elijahu der einzige Jude in der Familie Chavivi ist. Seine Frau Violet ist Christin und deshalb zählen auch ihre Kinder nach jüdischem Recht als Christen, da nur derjenige Jude ist, der eine jüdische Mutter hat.

Die römisch-katholische Verkündigungsbasilika wurde Anfang der 60er Jahre an der Stelle erbaut, an der der Tradition zufolge der Erzengel Gabriel der jungen Maria die Geburt des Messias Jesus verkündigte. Nazareth ist die Heimatstadt Marias und Josefs. Jesus selbst ist dort aufgewachsen und hat den Großteil seines Lebens in Untergaliläa verbracht. In Nazareth hatte es im Vorfeld des Jahres 2000 vermehrt Spannungen zwischen Christen und Muslimen gegeben, weil die Muslime Nazareths auf einem Platz vor der Verkündigungsbasilika versucht hatten, eine Moschee zu bauen.

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