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Annapolis: Eine politische Vitaminspritze – für wen?

Ungefähr 40 Nationen und Organisationen haben der amerikanische Präsident George Bush und seine Außenministerin Condoleezza Rice nach Annapolis im US-Bundesstaat Maryland eingeladen. Der Vollständigkeit halber - und um die Bandbreite der Amerikabesucher zu demonstrieren - seien die wichtigsten einmal beim Namen genannt.

Das sind zunächst natürlich der israelische Regierungschef Ehud Olmert und der palästinensische Präsident Mahmud Abbas, der auf Rückhalt aus der Arabischen Liga hofft. Sie ist durch Algerien, Bahrain, Ägypten, Jordanien, Libanon, Marokko, Qatar, Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Tunesien, Jemen, Kuwait, Irak, Libyen, Mauretanien, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate vertreten.

Sodann sind die UN und die EU eingeladen, wobei von den Europäern vor allem Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien, sowie der EU-Nahostsondergesandte Tony Blair vertreten sein werden. Ferner hat die US-Regierung Russland, Kanada, Japan, China, Norwegen, die Türkei, den Vatikan, Brasilien, Australien, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank geladen.

Seit Wochen war viel vom Scheitern der Beratungen von Annapolis die Rede. Hunderttausende von Juden, Christen und Muslimen beteten und demonstrierten gegen einen Erfolg. Kommentatoren israelischer Zeitungen suchten verzweifelt nach Gründen dafür, warum Annapolis erfolgreich sein könnte – und fanden dabei nichts Besseres als die Erkenntnis, dass die vielen Annapolis-Unheilspropheten und -Skeptiker auch in der Vergangenheit Unrecht hatten.

Dabei weiß aber niemand so recht, was denn einen Erfolg oder ein Scheitern eigentlich definieren könnte. Gewalt in Israel und den palästinensischen Gebieten kann kaum als Maßstab dafür herhalten, denn die geht unvermindert – nur weniger wahrgenommen – weiter, und ein israelischer Einmarsch im Gazastreifen ist nur eine Frage der Zeit, beziehungsweise des „Erfolgs“ palästinensischer Raketen, die täglich auf die Städte und Dörfer im nördlichen Negev fallen.

Was also erwartet man von dem hochkarätigen Treffen in Amerika, das von bösen Zungen vor allem als politische Vitaminspritze fürs letzte Regierungsjahr der Bush-Administration und für die beiden unpopulärsten regierenden Politiker des Nahen Ostens (Ehud Olmert und Mahmud Abbas) verstanden werden will?

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas meinte bei seiner Ankunft in den USA: „Ich bin gekommen, um den palästinensischen Traum von einem unabhängigen Staat zu verwirklichen.“ Sein Gesprächspartner Ehud Olmert, mit dem er sich seit Wochen zum persönlichen Austausch und zur Vorbereitung getroffen hat, hofft auf den Tag danach, dass dann nämlich Verhandlungen mit den Palästinensern beginnen werden.

Aus dem Weißen Haus ist zwei Tage vor Konferenzbeginn zu hören: „Wir wissen, dass es keine unmittelbaren Ergebnisse geben wird.“ Allerdings hoffen die amerikanischen Initiatoren auf eine Diskussion über die Kernpunkte, so dass Israelis und Palästinenser zu einem Ausgangspunkt gelangen, von dem aus sie die Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung beginnen können, „die beide wollen“.

Aber wollen Israelis und Palästinenser wirklich eine Zweistaatenlösung? Der politische Rückhalt für Olmert und Abbas ist – besonders, wenn’s ans Eingemachte gehen sollte – höchst umstritten. In Gaza-Stadt will niemand etwas von zwei Staaten wissen. Die Hamas betont lautstark, Abu Masen (Abbas) habe keinerlei Recht, „auch nur den kleinsten Flecken Palästinas abzutreten“ und ist natürlich nicht in Annapolis vertreten. Israelis winken müde ab und verweisen darauf, dass die Formel „Land für Frieden“ aus ihrer Sicht nirgends aufgegangen ist. Und in Ramallah, Jerusalem und Hebron träumen die Araber – wie übrigens auch ihre Siedlernachbarn – ganz offen von einer Lösung, die „nur die Jordanier bieten können“.

Der zunehmende Einfluss des Iran, beziehungsweise wie man diesen einschränken kann, ist die entscheidende Frage, die sunnitische Araber vom Maghreb bis an den Tigris mit dem „großen Satan“ aus dem Westen und der verhassten „zionistischen Größe“ an einen Tisch getrieben hat – nicht etwa das Wohlergehen und eine mögliche Unabhängigkeit ihrer palästinensischen Brüder.

Die Angst vor dem „schiitischen Halbmond“, der im Norden des Nahen Ostens von Teheran über Damaskus und den Libanon bis in die palästinensischen Gebiete hinein über dem Horizont erschienen ist, hat schon während des Libanonkrieges im Sommer 2006 kuwaitische Zeitungen munkeln lassen: „Wenn die Israelis nicht mit der Hisbollah aufräumen, wird es zu einem arabisch-iranischen Krieg kommen.“

Natürlich geht es um das israelisch-palästinensische Verhältnis – aber nur insofern, als dass sowohl Israel wie auch die gemäßigten Araber ihre Felle in Richtung Teheran davonschwimmen sehen. Noch nie war so offensichtlich, dass der israelisch-arabische Jahrhundertkonflikt oft nur als Decke diente, unter der unendlich vielschichtige orientalische Stammesstreitigkeiten, Glaubenskriege und nationale Interessenkonflikte ausgetragen wurden.

Der Wahlsieg der Hamas in der Autonomiebehörde im Januar 2006 und einige Monate später die Machtergreifung der radikalen Islamisten im Gazastreifen haben deutlich werden lassen, was Experten schon lange als Menetekel an der Wand sahen: Den iranischen Ajatollahs ist nicht nur in den Libanon, sondern auch in die Palästinensergebiete der Export ihrer islamischen Revolution gelungen.

Und das ist nicht nur ein Problem für den jüdischen Staat Israel, sondern für die gesamte sunnitisch-arabische Welt – wenn nicht gar für die ganze Welt. Die unverhohlen aggressiven Äußerungen aus dem traditionell islamfreundlichen Frankreich in den vergangenen Wochen waren bestimmt keine Versprecher. Sie erzählen Bände und sind genauso real wie die Tatsache, dass ein arabischer Staat nach dem andern urplötzlich sein Bedürfnis nach Atomenergie erklärt. Insofern ist Annapolis vor allem der greifbare Beweis dafür, dass sich die machtpolitischen Parameter im Nahen Osten grundlegend verschoben haben.

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