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Analyse: Ziviler Militärputsch in Kairo

KAIRO (inn) – Der ägyptische Oberkommandierende, General Abdel-Fatah el-Sisi, hat mit mehrstündiger Verspätung das Ende der Herrschaft der Muslimbrüder unter dem „legitim“ und demokratisch gewählten Mohammed Mursi angekündigt. Dies wurde von Millionen Ägyptern erwartet. Die Herrschaft währte nur ein Jahr.
In Ägypten hat das Militär vorübergehend die Macht übernommen. (Archivbild)

Hinter El-Sisi standen dabei der Vorsitzende der islamischen El-As‘har-Universität, der geistlichen Heimat der sunnitischen Islamisten, und der koptische Papst. So sollte die Ankündigung des Militärputsches symbolisch den Willen des ägyptischen Volkes darstellen.
Auf dem Tahrir-Platz in Kairo und im ganzen Land hatten sich wieder Millionen Ägypter versammelt. Vorsorglich hatte das Militär zwei Divisionen allein in Kairo positioniert. Aber auch sonst in ägyptischen Städten standen Panzer bereit, um Zusammenstöße zwischen enttäuschten Muslimbrüdern und anderen „Aufständischen“ zu verhindern. Jene, die den Sturz des Diktators Hosni Mubarak ursprünglich herbeigeführt hatten, aber schlecht organisiert waren, hatten das Gefühl, dass ihnen durch die darauffolgenden demokratischen Wahlen die Revolution „gestohlen“ worden sei.
In den Tagen vor der dramatischen Ankündigung kam es zu Dutzenden Toten und über 700 Verletzten allein im Vorort Giseh bei Kairo.
Gemäß israelischen Medienberichten, die mit Hilfe von Hebräisch sprechenden Ägyptern, ehemaligen Botschaftern und Experten entstanden, hätten die Amerikaner eine entscheidende Rolle bei dem Wandel gespielt. US-Präsident Barack Obama habe die ägyptische Armee vor einem klassischen Militärputsch gewarnt. Er habe mit einem Ende der amerikanischen Finanzhilfe für das Militär in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar gedroht. So sei der Kompromiss zustande gekommen. Die Armee werde „zeitweilig“ die Macht übernehmen, um sie sofort an eine vorläufige Technokratenregierung weiterzugeben.
Der vor nur einem Jahr demokratisch mit großer Mehrheit gewählte Präsident Mursi ist derweil vom Präsidentenpalais „zu seiner eigenen Sicherheit“ in ein Militärlager der Präsidentenwache gebracht worden. Mursi wurde verboten, telefonischen Kontakt mit Außenstehenden aufzunehmen. Die Zahl seiner Getreuen hatte sich ohnehin verringert, nachdem Minister und Regierungssprecher zurückgetreten waren.
In der Nacht gab es gleichwohl eine weitere dramatische Wende. In einer per Handy aufgenommenen und dann zu dem Satellitensender „Al-Dschasira“ geschmuggelten Rede behauptete Mursi, dass er weiterhin der „legitim“ gewählte Präsident Ägyptens sei. So hat er die Weichen für einen möglicherweise blutigen Bürgerkrieg gestellt.

Was ist in Ägypten schief gelaufen?

Die Muslimbrüder waren und sind in Ägypten die bestorganisierte Macht. 30 Jahre lang wurden sie vom Diktator Mubarak in Gefängnisse gesteckt und gefoltert, während der Westen von derartigen Menschenrechtsverletzungen nichts wahrnehmen wollte und Mubarak als treuen Verbündeten umarmte. Vor zwei Jahren brach im Rahmen des „arabischen Frühlings“ die Volkswut auch in Ägypten aus. Mubarak wurde schnell gestürzt, nachdem die Amerikaner ihn fallen gelassen hatten. Mit demokratischen Wahlen kamen die Muslimbrüder an die Macht. Präsident Mursi, ein stadtbekannter Antisemit und Israelhasser, bewahrte aus rein pragmatischen Gründen den Friedensvertrag mit Israel. In den vergangenen Tagen erst durften die Ägypter mit israelischer Zustimmung im grundsätzlich entmilitarisierten Sinai Panzer in Richtung Gazastreifen vorrücken, um den palästinensischen Ableger der ägyptischen Muslimbrüder, die Hamas-Organisation, in Schach zu halten.
Wie israelische Experten wohl zu Recht behaupten, ist Mursi vor allem an der desolaten Wirtschaftslage Ägyptens gescheitert. Allein mit Ideologie und islamischer Verfassung lassen sich 90 Millionen Ägypter nicht füttern. Die wichtigsten Wirtschaftszweige wie der Tourismus sind wegen des Aufstands eingebrochen. Terroristen im Sinai sorgten für eine Sprengung der Gasleitungen von Ägypten nach Israel, Jordanien und Syrien. Das beendete den ägyptischen Energieexport. Hinzu kam, dass wegen der seit zwei Jahren andauernden Unruhen die Investoren ausbleiben. So verlor das ägyptische Pfund etwa 20 Prozent seines Wertes und die Regierung hat nicht mehr das Geld, Getreide und Fladenbrote, das Grundnahrungsmittel, zu subventionieren.
Auch die Nachfolger Mursis, wer immer das sein mag, bis zu den Wahlen und danach, werden nicht zaubern könnten. Am Ende zählt nicht Ideologie, sondern, ob die Ägypter genug zu Essen haben.

Israelisches Schweigen

Israel beobachtet die Entwicklung in Ägypten „sehr genau“. Die Minister haben erneut von Premierminister Benjamin Netanjahu einen „Maulkorb“ verhängt bekommen, keinen Kommentar zu Ägypten abzugeben. Israel schweigt, weil jegliche Einmischung in die ungewissen inneren Angelegenheiten Ägyptens nur zu seinem Nachteil ausgelegt werden könnten. Dabei hat Israel grundsätzlich nur ein einziges Interesse: eine Fortsetzung des Friedensvertrages mit Ägypten und Ruhe entlang seiner Grenze zur ägyptischen Sinaihalbinsel.

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