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Analyse: Was bleibt nach dem Sturm auf Jericho?

Langsam legt sich der Staub in der Wüstenstadt Jericho. Die Mörder des israelischen Tourismusministers Rechavam Se´evi sind gefasst und sollen in Israel vor Gericht gestellt werden. Die Israelis sind stolz auf ihre Armee und ihr amtierender Premierminister Ehud Olmert verkündet dem toten Se´evi , dessen Sichtweise er nie geteilt hat: „Das Volk Israel hat deine Ehre wieder hergestellt!“

Die Palästinenser wissen nicht so recht, wie sie ihrer Wut Luft machen sollen. Sie rufen einen Generalstreik aus, der niemandem außer ihnen selbst schadet, beschuldigen den Westen der Kollaboration mit Israel und erwägen eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen die „kriminelle Entführung“ – während praktisch alle westlichen Ausländer fluchtartig die Palästinensergebiete verlassen, aus Angst vor Entführungen durch diejenigen, denen sie doch eigentlich helfen wollen. Und dem palästinensischen Chefunterhändler Saeb Erekat bleibt wieder einmal nur die Mutmaßung, dass „Israel über dem Gesetz“ stehe.

Am Morgen des 14. März 2006 zogen sich britische und amerikanische Beobachter fluchtartig aus dem Gefängnis in Jericho zurück. Entsprechend einem Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) aus dem Jahre 2002 hätten sie dafür garantieren sollen, dass sechs Palästinenser dort festgehalten werden: Ahmed Sa´adat, der Generalsekretär der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), Ahed Ulmeh, Madschdi Rimawi, Hamdi Kuraan und Basel a-Samer, alles PFLP-Aktivisten, die von den Israelis für den Mord an Rechavam Se´evi am 17. Oktober 2001 im Jerusalemer Hyatt-Hotel verantwortlich gemacht werden. Und schließlich saß im Jerichoer Gefängnis noch Fuad Schubaki, enger Vertrauter Jasser Arafats und Cheffinancier einer großen Waffenlieferung aus dem Iran auf dem Frachter „Karine A“, der in den ersten Januartagen 2002 von Israel im Roten Meer abgefangen worden war.

Amerikaner und Briten behaupten, die Palästinenser hätten die Sicherheit ihrer Beobachter nicht mehr gewährleistet. Ihre Flucht war weder Israelis noch Palästinensern vorher angekündigt worden. Trotzdem reagierte die israelische Armee prompt, marschierte nach Jericho ein und umstellte das palästinensische Gefängnis, das nur wenige Hundert Meter auf Sichtweise von der ersten israelischen Straßensperre entfernt liegt. Da bereits seit dem Hamaswahlsieg Ende Januar in palästinensischen Politikerkreisen über eine Freilassung der prominenten Gefängnisinsassen in Jericho diskutiert wurde, konnten die Israelis das Szenario sogar üben. Nach neuneinhalb Stunden dramatischer Belagerung gaben die Gesuchten ihren Widerstand auf.

Das Verhalten der sichtbaren Vertreter der internationalen Gemeinschaft im Konfliktgebiet spricht eine deutlichere Sprache als alle Stellungnahmen oder Verurteilungen der UNO, der EU oder der USA: Wieder einmal haben die internationalen Garanten einer Absprache zwischen den Konfliktparteien in Nahost die Flucht ergriffen, sobald es heiß wurde – anstatt ihre Autorität einzufordern.

Diese Verhaltensweise erstaunt in Israel niemanden mehr. Vor dem Sechstagekrieg 1967 räumten UNO-Beobachter auf Befehl des säbelrasselnden ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser widerspruchslos den Sinai. Ende der 90er Jahre müssen Blauhelme im Südlibanon entweder gesehen oder geschlafen haben, als Hisbollah-Kämpfer eine Straßenbombe legten, die einen israelischen General das Leben kostete. Nach dem Abzug Israels von der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen im Spätsommer 2005 sollten dort EU-Beobachter für Ordnung sorgen. Sie sorgten aber durch Flucht immer dann für ihre eigene Sicherheit, wenn ihr Durchsetzungsvermögen gefordert war. Und erst vor wenigen Wochen flohen die Beobachter der Temporary International Presence Hebron (TIPH) vor der Wut ihrer Schützlinge über die dänischen Mohammedkarikaturen. Fazit Nummer Eins aus israelischer Sicht: Für internationale Garantien garantiert niemand. Auf die internationale Gemeinschaft ist kein Verlass.

Die israelischen Sicherheitskräfte bereiten sich jetzt auf Racheakte der PFLP vor. Ihre Hauptsorge gilt allerdings der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Schon vor dem Sturm auf das Gefängnis in Jericho beobachteten israelische Nachrichtendienste eine Verschlechterung der Sicherheitslage, vor allem durch Angriffe von Fatah-Mitgliedern, darunter palästinensische Polizisten, auf Israelis. Damit profiliert sich die Fatah als Hauptkonkurrent des Islamischen Dschihad im traditionellen Wettstreit, wer am erfolgreichsten Terror gegen Israel ausführt.

Gleichzeitig betont Ismail Hanije von der Hamas kurz vor der Regierungsbildung: „Ich habe kein [israelisches] Blut an Händen!“ Ihm ist wichtig, dass er nie aktiv am Terror gegen Israel beteiligt war und er verleiht gar seiner Hoffnung auf einen Frieden mit Israel Ausdruck. Nach Geheimdienstinformationen soll die Hamasführung gar Rachevorschläge ihrer Aktivisten im Blick auf Jericho zurückgewiesen haben.

Israelische Militärs vermuten auf diesem Hintergrund einen Rollentausch. In den vergangenen Jahren stellte die Fatah unter Leitung von Jasser Arafat und dann Mahmud Abbas das politische Gesicht der Palästinenser und redete Israel und dem Westen gegenüber vom Frieden. Gleichzeitig führte die Hamas fast unbehindert von ihren „palästinensischen Brüdern“ einen blutigen Terrorkrieg gegen den jüdischen. Jetzt zeichnet sich eine umgekehrte Rollenverteilung ab: Die Hamas als gemäßigte politische Fassade und die Fatah mit ihren Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden als gewalttätige Widerstandsbewegung, die von niemandem zur Verantwortung gezogen werden kann.

A gros bleiben die Palästinenser aus israelischer Sicht also ein Feind, mit dem keine fruchtbaren Verhandlungen möglich sind. Selbst wenn sich die Hamas in den kommenden Monaten gesprächsbereit zeigen sollte, bereiten sich Israels Sicherheitskräfte doch auf einen „heißen Sommer“ vor. Fazit Nummer Zwei liegt auf der Hand: Die Palästinenser sind geradlinig und berechenbar in ihrer Zielsetzung. Auf die palästinensische Gesellschaft ist als Todfeind des jüdischen Staates Israel absolut Verlass.

Die Unzuverlässigkeit der internationalen Gemeinschaft und die Zuverlässigkeit der palästinensischen Gesellschaft schüren die uralte Angst des jüdischen Volkes: Wir stehen allein gegen eine feindselige oder gleichgültige Welt. Aus dieser Erfahrung während des Holocaust heraus ist vor bald 60 Jahren der Staat Israel entstanden, als Überlebensgarantie für das jüdische Volk. Weil Israel immer wieder Beweise dafür erhält, dass es sich auf niemanden als sich selbst verlassen kann, verweigert der jüdische Staat Militärbündnisse, die seine eigene Handlungsfreiheit einschränken. Dabei ist es eine Frage der Nuancen, welche politische Partei die Regierung stellt. Israel wird auch künftig kompromisslos zuschlagen, wo es seine Existenz ernsthaft bedroht sieht.

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