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Analyse: Der Kaugummi im Schlüsselloch

Die israelisch-amerikanischen Bemühungen, Yasser Arafat für irrelevant zu erklären, sind ein für allemal gescheitert. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde besitzt eine Schlüsselfunktion im israelisch-palästinensischen Konflikt. „Abu Ammar ist der Führer!“ Das skandieren nicht nur die palästinensischen Massen, die sich spontan vor ihren Präsidenten gestellt haben, das geben mittlerweile alle zu.

Daß Arafat so ohne weiteres den amerikanischen Wunschpremier Mahmoud Abbas absetzen und dafür Ahmed Qrea als palästinensischen Regierungschef installieren konnte, hat das hinreichend bewiesen. Milliardenreich und mythenumwoben hält er einen Großteil des palästinensischen Volkes in seinem Bann. Außerdem haben sich israelische Rechtspolitiker schon lange selbst widersprochen, wenn sie den Palästinenserpräsidenten einerseits für bedeutungslos erklären wollten, andererseits aber seine Beseitigung forderten.

Manchmal ist eben auch ein Kaugummi im Schlüsselloch der Schlüssel zur Lösung eines Problems. Deshalb hat die israelische Regierung am zweiten Donnerstag im September entschieden: Der Kaugummi muß weg. Kurz und lapidar ist der Wortlaut des Kabinettskommuniqué im Blick auf Yasser Arafat: „Israel wird darauf zuarbeiten, dieses Hindernis beseitigen, auf eine Weise und zu einem Zeitpunkt seiner Wahl.“

Die Welt ist in Aufruhr. Alle sind sich einig: Yasser Arafat darf nicht aus den Palästinensergebieten ausgewiesen werden. Das meinen nicht nur die europäischen Nahostpolitiker, die den Kaugummi im Schlüsselloch seit Monaten durch ihre Besuche und Referenzen feucht und klebrig und damit effektiv erhalten haben. Der israelische Außenminister Silvan Shalom kann sich nach eigenen Angaben vor Telefonanrufen aus aller Welt kaum retten.

Was sich die Entscheidungsträger, die dem Kaugummi im Schlüsselloch belassen wollen, davon versprechen, ist indes unklar. Warum hängen sie so sehr an dem gealterten Revolutionär, der ohne alle Hemmungen die Massen aufpeitscht: „Wir marschieren nach Jerusalem als Märtyrer in Millionen“? Vielleicht hoffen sie, die Tür nicht auf althergebrachte Art mit dem Schlüssel zu öffnen, sondern darauf, daß die PLO-Methode, mit Plastiksprengstoff zu operieren, auch dieses Mal funktioniert? Vielleicht treibt sie aber auch nur die ökologisch begründete Sorge, daß ein ausgekauter Kaugummi ohne festen Standort etwas anderes verkleben könnte.

Dabei spricht der israelische Regierungsentscheid gar nicht davon, daß der PA-Vorsitzende des Landes verwiesen werden soll. Viele israelische Sicherheitsexperten pflichten der amerikanischen Einschätzung bei, daß eine Ausweisung Arafats diesem lediglich eine Bühne, eine neue Möglichkeit bieten würde, seine Sache international zu promovieren.

Das hebräische Wort für „ausweisen“ oder „vertreiben“ kommt in der Verlautbarung überhaupt nicht vor. Dort heißt es, daß Arafat „entfernt“ werden soll. Kinder erklären mir, daß man dieses Wort zum Beispiel benutzt, wenn man Flecken „entfernt“. Was also bedeutet „Arafat entfernen“?

Ein Offizier des israelischen Sicherheitsapparates schmunzelt vieldeutig: „Das kann bedeuten, daß wir Arafat zum ersten palästinensischen Astronauten machen…“ Konkret kann die politische Entscheidung der Regierung Sharon umgesetzt werden, indem Arafat ins Exil geschickt oder getötet wird. Er könnte auch verhaftet und vor Gericht gestellt werden. Auch könnte sein Büro abgeriegelt und jeder Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten werden.

„Arafat entfernen“ könnte auch bedeuten, daß Sharon mit dieser Entscheidung den Palästinensern und der Welt sagen möchte, so rätselt der Analyst Herb Keinon in der Jerusalem Post: „Wenn euch Arafat so lieb und wert ist, dann entkleidet ihn aller Macht und Autorität, die er bisher nur dazu genutzt hat, den Friedensprozeß zu untergraben.“

Was bleibt? Lediglich die Entscheidung der israelischen Regierung, dem Sicherheitsapparat des Staates die weitere Vorgehensweise gegen den Palästinenserchef zu überlassen. Eine weitere politische Entscheidung, die wieder viel Staub aufwirbeln wird, ist nicht nötig. Alles ist möglich, heute, morgen, nächste Woche, jederzeit. Damit ist der Entscheid, „Arafat zu entfernen“, zunächst einmal so etwas wie ein Gruß des mysteriösen Grafen von Monte Christo. Die Frage ist, ob diejenigen, die in dieser ganzen Sache etwas zu sagen haben, das Menetekel verstehen.

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