Alter Wein in neue Schläuche?

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu äußerte sich in seinem wöchentlichen Kabinettskommuniqué zufrieden darüber, dass er in Washington ein langes Gespräch unter vier Augen mit Abu Masen - so der Nom de guerre des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas - führen konnte. "Für ein praktikables Abkommen müssen wir über neue Lösungen für alte Probleme nachdenken", wird Netanjahu von israelischen Zeitungen zitiert, und: "Ich bin bereit für einen Kompromiss mit unseren Nachbarn und sorge mich gleichzeitig um unsere nationalen Sicherheitsinteressen."

Im Vorfeld der Gespräche hatte der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak durchblicken lassen, die arabischen Viertel Jerusalems würden Teil eines künftigen Palästinenserstaates werden. Die Heiligen Stätten sollten einer „speziellen Regime“ unterstellt werden. Vorstellungen, die schon im Jahr 2000 kursierten, als Barak Premierminister war, im Juli enttäuscht aus Camp David zurückkehrte und das Land der Al-Aksa-Intifada entgegenschlitterte. Heute ist Netanjahu überzeugt, ein Abkommen mit den Palästinensern werde Abkommen mit anderen arabischen Staaten nach sich ziehen. Das israelische Macht-Duo Netanjahu-Barak gibt sich alle Mühe, Optimismus zu versprühen.

Aus israelischer Sicht sind die Parameter für ein Abkommen mit den Palästinensern klar:
– zwei Staaten für zwei Völker
– ein Ende des Konflikts und aller weiteren Forderungen
– eine Grenze, die das Land Israel teilt
– auf der einen Seite eine massive jüdische Bevölkerungsmehrheit
– auf der anderen Seite ein demilitarisierter palästinensischer Staat
– die großen Siedlungsblöcke bleiben in israelischer Hand
– palästinensische Flüchtlinge werden entschädigt oder im Palästinenserstaat angesiedelt
– ein umfassendes Netz von Sicherheitsvorkehrungen
– und eine Lösung des Jerusalemproblems.

All das ist nicht neu, sondern eher kalter Kaffee von gestern, an den man sich inzwischen so sehr gewöhnt hat, dass selbst der Rechtspolitiker Netanjahu nicht mehr von „Judaä und Samaria“, sondern ganz unbefangen und ideologisch vollkommen inkorrekt von der „Westbank“ spricht, wenn er die umstrittenen Gebiete meint.

Außenminister widerspricht Regierungschef

Ein Teil der Kabinettsminister Israels unterstützt ihre Regierungsspitze in den Bemühungen, dem Friedensprozess neuen Impetus zu verleihen – aber nicht alle. Koalitionspartner Avigdor Lieberman, der nach wie vor Außenminister ist, auch wenn er als solcher de facto zumindest gegenüber westlichen oder arabischen Ländern kaum in Erscheinung tritt, bezeichnete die Wiederaufnahme der Gespräche als Frühgeburt, die beide Seiten gefährde. „Es wird keinen Frieden geben, weder im kommenden Jahr, noch in dieser Generation“, stellt er mit viel prophetischer Selbstsicherheit fest und wirft Netanjahu vor, Illusionen zu verbreiten. Lieberman hält die Palästinensische Autonomiebehörde für friedensunfähig – erwartet allerdings auch nicht, dass sie zur Gewalt zurückkehren werde.

Die hebräische Tageszeitung „Ma´ariv“ schließt sich der Meinung Liebermans an und bezweifelt, dass die Friedensgespräche von Erfolg gekrönt sein werden: „Netanjahus Maximalposition reicht nicht an die Minimalforderungen der Palästinenser.“ Abbas wird nach Ansicht des Blattes nicht weniger akzeptieren können, als das, was Ehud Barak und Ehud Olmert geboten und die Palästinenser als unzureichend abgelehnt hätten. Und Netanjahu werde jetzt auch nicht mehr bieten können. Im besten Falle könne unter amerikanischem Druck ein palästinensischer Staat mit zeitweiligen Grenzen erreicht werden, wie er etwa im zweiten Stadium der Roadmap vorgesehen sei.

Während die israelische Führung unter Netanjahu viel Optimismus verbreitet, sind die Töne aus Ramallah zurückhaltend. Präsident Abbas meinte nur, die Zeit werde erweisen müssen, ob Netanjahu tatsächlich seinen Standpunkt verändert hat. Bei einem Zwischenstopp auf dem Rückweg aus den USA erklärte er in Libyen, die Palästinenser würden keinerlei israelische Präsenz in Palästina – sei die nun zivil oder militärisch – akzeptieren. Für Israel andererseits ist die Präsenz von internationalen Streitkräften in der Westbank als Sicherheitsgarant undenkbar. Zu oft sind sie geflohen, wenn es ernst wurde – zuletzt die Beobachter am Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Wer also soll für den demilitarisierten Status eines palästinensischen Staates bürgen, wenn gleichzeitig dessen absolute Souveränität eingefordert wird?

Die USA versuchen Abbas unter Druck zu setzen, die neu begonnen Gespräche auch dann nicht auszusetzen, sollten die Israelis nach Ablauf des zehnmonatigen Siedlungsmoratoriums in naher Zukunft die Bauarbeiten in den umstrittenen Gebieten wieder aufnehmen. Doch an diesem Punkt bleibt der PA-Chef hart: Die Wiederaufnahme des Siedlungsbaus wäre das Ende des wiedergeborenen Friedensprozesses.

Arabische Liga reagiert positiv

Erstaunlich positiv äußerte sich der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa. Auf dem Ambrosetti Forum in Italien kommentierte der ägyptische Diplomat, der eigentlich für seine schroffen Äußerungen in Richtung Israel bekannt ist, eine Rede des israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres ungewöhnlich aufgeschlossen. Für den Fall, dass es zu einem Friedensabkommen und einem unabhängigen Palästina in den Grenzen von 1967 mit Hauptstadt Jerusalem kommen sollte, versprach er eine völlige Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und der islamischen Welt.

Wie weit diese Euphorie berechtigt ist und wie Netanjahus neue Ideen für alte Herausforderungen aussehen, wird die Zukunft zeigen müssen. Die nächste Gesprächsrunde soll jedenfalls Mitte September in Scharm el-Scheich auf der ägyptischen Sinaihalbinsel stattfinden. US-Außenministerin Hillary Clinton will dabei sein. Die weiteren Verhandlungen sollen dann in Jerusalem vonstatten gehen. Mahmud Abbas will als ersten inhaltlichen Schwerpunkt über künftige Grenzen reden.

Ein Endstatusabkommen, das von allen möglichen Seiten immer wieder ins Gespräch gebracht wird, scheint momentan vor allem aufgrund der Konstellation in der palästinensischen Gesellschaft undenkbar. Zu tief ist der Spalt in der palästinensischen Gesellschaft, zu unüberwindlich die Kluft zwischen Fatah und Hamas, zu weit die Entfernung zwischen Gaza und Ramallah. Solange eine palästinensische Führung nicht eindeutig demokratisch legitimiert ist und zweifelsfrei für die überwältigende Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung sprechen kann, ist höchstens ein vorläufiges Abkommen möglich. Insofern ist die kritische Frage nach den neuen Ideen berechtigt – oder ob hier einfach nur der alte, mittlerweile unappetitliche Wein in neue Schläuche gefüllt werden soll?

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