Abwarten wollen die meisten Spieler auf dem Politparkett des Nahen Osten, und sehen, wie sich die Arbeit der neuen palästinensischen Einheitsregierung konkret manifestiert. EU-Ratspräsidentschaftsinhaber Deutschland stellte klar, man werde mit der neuen Palästinenserführung kooperieren, wenn diese den Forderungen des Nahost-Quartetts nachkomme. Das Quartett, bestehend aus den USA, der EU, Russland und der UNO, möchte gerne, dass die Palästinenser Israels Existenzrecht sowie bestehende Verträge anerkennen und der Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele absagen.
Das unabhängige Norwegen macht nicht so viel Federlesens und verkündete umgehend die Anerkennung der neuen Einheitsregierung und die Wiederaufnahme voller diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen. Premierminister Jens Stoltenberg bezeichnete die Tatsache einer formellen Einigung zwischen Hamas und Fatah als „mutige Entscheidung“.
Dass Israels erster Muslim im Ministerrang, Wissenschafts-, Kultus- und Sportminister Raleb Madschadele (Arbeitspartei), reflexartig forderte, die israelische Regierung müsse nun mit den Palästinensern reden, überraschte ebenso wenig, wie der Ruf des arabisch-israelischen Knessetmitglieds Ahmad Tibi (Vereinigte Arabische Liste „Ta´al“) nach einem Ende des internationalen Boykotts der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA).
Der Vorsitzende der links-zionistischen Meretz-Partei, Jossi Beilin, sieht in der Rede des Mahmud Abbas zur Regierungsvereidigung eine „Gelegenheit für beide Völker“ und in der Hamas-Fatah-Einheitsregierung „möglicherweise einen positiven historischen Wendepunkt“. Selbst der israelische Verteidigungsminister Amir Peretz möchte jetzt die erste Phase der Roadmap, die eine Auflösung der palästinensischen Milizen und eine Einstellung des Terrors gegen Israel vorsieht, überspringen, und sofort über einen Endstatus verhandeln. Und auch sein Vize, Ephraim Sneh, fordert eine Neuaufnahme der Verhandlungen mit dem als „Abu Masen“ bekannten Palästinenserpräsidenten.
Wieder einmal scheint die rosarote Brille aus der Jungfernzeit der Verträge von Oslo in Mode zu kommen, durch die ein Politmanöver so schnell zum Morgenrot der Hoffnung wird. Da fallen die fünf Kassam-Raketen kaum ins Gewicht, die in den 24 Stunden nach Vereidigung der neuen PA-Regierung vom Gazastreifen aus auf israelischem Territorium eingeschlagen sind, eine davon im Industriegebiet im Süden der israelischen Küstenstadt Aschkelon. Solange sie keinen nennenswerten Schaden anrichten, können sie offensichtlich ignoriert werden.
Interne Kämpfe dauern an
Schwerer zu übersehen ist, dass sich Palästinenser trotz neuer Einheit in der Regierung weiter gegenseitig entführen, beschießen und ermorden. So wurde die achtjährige Schasa Abu Muhsin tot ins An-Nadschar-Krankenhaus im südlichen Gazastreifen eingeliefert, nachdem der 40-jährige Mohammed Abu Schamala, ein Offizier der Präsidentengarde „Force 17“, von bewaffneten Männern in Rafah entführt worden war. Waren es in der vergangenen Woche noch die rivalisierenden politischen Parteien Fatah und Hamas, so sind es jetzt nach der Bildung der Einheitsregierung Stammesstreitigkeiten, die zwischen den Abu Aha- und den Al-Masri-Familien gewaltsam ausgetragen werden und ihren Blutzoll fordern. Und wenn einmal bekannt werden sollte, dass die verschiedenen Milizen der palästinensischen Sicherheitskräfte schon seit langem von Clan-Strukturen beherrscht werden, bliebe den politischen Analytikern immer noch die Option offen, von mafia-ähnlichen Banden zu reden, bei denen sich wirtschaftliche, verwandtschaftliche und politische Interessen unübersichtlich vermischen.
Nein, die Quadratur des Kreises haben die Palästinenser mit ihrer neuen Einheitsregierung nicht erfunden. Aber vielleicht gelingt es ihnen trotzdem, einer friedenshungrigen Welt ein Quadrat als Kreis zu verkaufen. Präsident Mahmud Abbas erklärte, dass er jegliche Gewalt abscheulich finde und die Palästinenser den Israelis die Hand entgegenstreckten. Und sein neuer Außenminister, Siad Abu Amr, gab zu Protokoll, dass das neue Regierungsprogramm auf „jede einzige Bedingung des Nahost-Quartetts“ eingehe und mit dem „Respekt“, der den bestehenden Abkommen entgegengebracht werde, implizit auch die Existenz des Staates Israel anerkannt sei.
Gleichzeitig erläuterte der alt-neue Regierungschef Ismail Hanije jedoch, dass die Palästinenser an ihrem Recht, der israelischen Besatzung „in jeder Weise“ zu widerstehen, festzuhalten gedächten. Die unabhängige palästinensische Nachrichtenagentur „Ma´an“ will beobachten, dass das Nahost-Quartett von seinen Forderungen abrücke. Und so ist denn auch aus US-Regierungskreisen einerseits zu hören, man werde den Boykott der PA aufrechterhalten, bis diese den Forderungen des Nahost-Quartetts nachgekommen sei. Andererseits ließ man aber auch durchscheinen, man könne sich je nach Lage einen Kontakt mit Vertretern der neuen PA-Regierung vorstellen, solange diese nicht der Hamas angehörten.
Lieberman fordert Abbruch der Beziehungen
Natürlich ließen kritische Stimmen nicht lange auf sich warten. Der israelische Minister Avigdor Lieberman von der rechtsnationalen Partei „Israel Beiteinu“ („Israel ist unsere Heimat“) wusste vermutlich schon vor Bekanntwerden der erfolgreichen Regierungsbildung bei den Palästinensern, was er empfehlen werde: Den Abbruch aller Beziehungen, auch mit dem als gemäßigt geltenden Präsidenten Abbas. Er wirft dem Palästinenserpräsidenten vor, der radikal-islamischen Hamas lediglich eine diplomatische Deckung zu bieten. Botschafter a.D. Salman Schoval, der das außenpolitische Büro des oppositionellen Likud leitet, wandte sich gegen seine eigene Regierung und beschuldigte sie, der internationalen Gemeinschaft Hilfestellung zu leisten bei dem Bemühen, den Boykott der Hamas aufzuheben: „Die israelische Regierung verhandelt mit Abu Masen, während sich dieser immer mehr der Position der Hamas annähert.“
Doch trotz der unterschiedlichen Meinungen innerhalb der Regierung eröffnete das israelische Außenministerium spontan eine diplomatische Offensive, um ein Zerbröckeln des internationalen Boykotts der PA zu verhindern. Dabei appellierten die israelischen Diplomaten vor allem an die Prinzipientreue ihrer westlichen Verbündeten. Denn die neue Palästinenserregierung hat weder explizit das Existenzrecht des Staates Israel noch die bestehenden Verträge anerkannt. Und die Betonung auf dem Widerstandsrecht der Palästinenser ist ein Schlag ins Gesicht derer, die hinter der Forderung stehen, jeder Gewalt abzuschwören.
„Widerstand ist Terror“, stellte Olmert-Sprecherin Miri Eisin fest und erteilte jeglicher Hoffnung auf eine israelische Kooperation mit der neuen Palästinenserregierung eine eindeutige Absage. Und dann gelang es Regierungschef Ehud Olmert auch irgendwie, sein Kabinett dazu zu bewegen, gegen eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen Palästinenserstaat zu stimmen.
Die neue Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde sieht sich indessen einer ganzen Reihe von Herausforderungen gegenüber, die alles andere als leicht zu lösen sein dürfte. Die Hamas will das Kontingent ihrer Sicherheitskräfte im Gazastreifen auf 12.000 Mitglieder verdoppeln – während die Fatah diese Miliz ganz auflösen möchte. Mohammed Dahlan, traditionell der starke Mann der Fatah im Gazastreifen, wird den zu neuem Leben erweckten Nationalen Sicherheitsrat der PA leiten. Als eine Option zur Integration der Sicherheitskräfte im Pulverfass Gazastreifen erwägt er die Forderung, dass alle Mitglieder von Sicherheitskräften ihre Mitgliedschaft in politischen oder religiösen Parteien aufgeben müssen. Ein weiteres Problem der neuen Regierungsmannschaft ist es, das internationale Embargo der PA zu beseitigen, ohne vor der eigenen Bevölkerung so dazustehen, als habe man den Forderungen des Westens kleinlaut beigegeben und so das Gesicht verloren.
(Bild: ISM-NC)