„Kann ein Leopard seine Flecken wandeln?“, fragte vor zweieinhalb Jahrtausenden der jüdische Prophet Jeremia. In seinem Heimatstädtchen „Anatot im Lande Benjamin“, das heute „Anata“ heißt und ein Stadtteil Jerusalems ist, hat die radikal-islamische Hamasbewegung Ende Januar einen überwältigenden Wahlsieg davongetragen – wie in der gesamten Palästinensischen Autonomie (PA).
Bürgermeister Mohammed Allan ist es nicht die Mühe wert, sich die genauen Prozentzahlen des Wahlergebnisses zu merken – und das, obwohl er sich als Fatah-Anhänger erklärt. Neben seinem Schreibtisch steht eine riesige Kopie des Reisepasses von Fatah-Gründer Jasser Arafat. Aus Jerusalem zogen nur zwei Quoten-Christen ins Parlament ein, von denen jeder kaum mehr als 4.000 Stimmen auf sich vereinigen konnte. Die vier Jerusalemer Hamas-Kandidaten dagegen bekamen jeweils zwischen 14.000 und 15.000 Stimmen.
So hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Mitte Februar den Hamas-Führer Ismail Hanije zum neuen Premierminister designiert. Hanije hat jetzt fünf Wochen Zeit, um seine Regierung vorzustellen. Der Mittvierziger, der als enger Vertrauter und Sprecher von Hamas-Gründer Scheich Achmed Jassin bekannt wurde, wünscht sich eine Koalitionsregierung mit anderen palästinensischen Fraktionen.
Bei den palästinensischen Parlamentswahlen hat nicht nur erstmals eine radikal-islamische Bewegung die Macht ergriffen. Es waren gleichzeitig die ersten freien Wahlen in der arabischen Welt. Deshalb befindet sich der Westen in einer Zwickmühle. Einerseits ist das Ideal eine demokratische Volksvertretung und die Idee, dass noch nie Demokratien gegen einander Krieg geführt haben. Andererseits ist die radikal-fundamentalistische Atmosphäre in der palästinensischen Bevölkerung ein Zustand, der nicht sein kann und deshalb auch nicht sein darf. Trotzdem zeigen Meinungsumfragen, dass rund die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung eine Anerkennung der Existenz Israels ablehnt.
Israel hat nach der Beauftragung der Hamas mit der Regierungsbildung angekündigt, den Transfer von Steuergeldern, die im Auftrag der PA eingezogen werden, einzustellen. Amerika will alle Finanzhilfen an die PA einstellen. Der palästinensische Finanzminister Masen Sonokrot klagt, man könne das palästinensische Volk doch nicht dafür bestrafen, dass es den Wünschen der internationalen Gemeinschaft entsprochen und seine demokratischen Rechte ausgeübt habe. UNO, Schweiz, EU und selbst Stimmen aus Israel halten die Sanktionen für unweise. Die Arabische Liga, die Organisation der Islamischen Konferenz, Schweden, Russland, der Iran und die ägyptische Moslembruderschaft haben angekündigt, ein finanzielles Ersticken der PA nicht zuzulassen.
Händeringend werden jetzt Beweise dafür gesucht, dass die Hamas gar nicht so radikal ist wie ihr Ruf. Vor allem der designierte Premierminister Ismail Hanije gilt als „moderat“, weil er bereit ist, mit Israel zu reden – ohne allerdings dessen Existenzrecht anzuerkennen oder das Recht auf Widerstand, konkret den Terror, aufgeben zu wollen. Großen Wert legt Hanije auf ein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und ihrer Nachkommen auf heute israelisches Staatsgebiet – eine Forderung, deren Umsetzung einem demographischen Selbstmord der jüdischen Demokratie gleich käme.
In Israel ist die Sorge groß, dass die islamistische Erfolgswelle auf die israelischen Araber überspringen könnte. Der arabisch-israelische Knessetabgeordnete Achmed Tibi hat bereits auf der renommierten Herzelia-Konferenz vor einigen Wochen eine „nationale und territoriale Autonomie“ für Israels arabische Minderheit gefordert.
Die Suche nach einer „gemäßigten und ungefährlichen Hamas“ hat politische Gründe. Das beweist der Sturm um die Bemerkungen des Kommandeurs des Zentralabschnitts der israelischen Armee. Generalmajor Jair Naveh hatte betont, dass auch König Abdallah von Jordanien durch die Islamisten gefährdet sei. Die Folge war ein diplomatischer Eklat. Naveh musste sich entschuldigen. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass 80 Prozent der Jordanier Palästinenser sind und niemand weiß, wie das Ergebnis einer wirklich freien Wahl aussehen würde.
Ähnliches gilt für Ägypten, wo die Moslembruderschaft bei Parlamentswahlen im vergangenen Jahr ihre Präsenz in der Volksversammlung von 15 auf 88 Sitze bei insgesamt 454 Mitgliedern ausbauen konnte. Da sie in Ägypten illegal ist, stellten sich die Moslembrüder als unabhängige Kandidaten zur Wahl. Dass Großbritannien öffentlich zugegeben hat, Gespräche mit der Moslembruderschaft zu führen, die von Ägypten als Terrororganisation verfolgt wird, kann von Islamisten nur als Bestätigung interpretiert werden.
Der Wahlerfolg einer einst kleinen Terrororganisation, deren Führer von Israel weitgehend ausgelöscht wurden, hat weitreichende Konsequenzen. Die Hamas versteht sich als Teil eines internationalen Netzwerkes, der nicht zuletzt die ägyptische Moslembruderschaft, die libanesische Hisbolla und die Al-Qaida angehören. Die religiöse Motivation dieser Bewegung, die sich auf göttliche Offenbarung beruft und auf ein Leben nach dem Tod ausgerichtet ist, wird von vielen nicht-muslimischen Beobachtern unterschätzt.
„Die Option einer gemäßigteren Hamas existiert schlicht nicht!“, meint Professor Dan Schiftan vom Nationalen Sicherheitsforschungszentrum der Universität Haifa. Selbst die PLO „anerkennt noch immer nicht die Existenz Israels und betrachtet Terror nach wie vor als legitimes Kampfmittel.“ Der Leopard kann seine Flecken nicht wandeln. Die einzige Chance, ihn in seine Schranken zu weisen, ist eine gemeinsame Front der westlichen Demokratien, die eindeutig ihre Werte einfordert und dem Eindruck eines zahnlosen Papiertigers schon in den Anfängen wehrt.
(Foto von Mohammed Allan: Johannes Gerloff)