Der neue Geheimdienstchef: Juval Diskin

Seit Dezember letzten Jahres steht fest, dass die Dienstzeit des Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes Avi Dichter wie nach fünf Jahren üblich nicht verlängert wird. Seitdem sind Denker und Spekulanten am Werk und rätseln, wer sein Nachfolger an der Spitze des „Schabak“ oder „Schin Beit“ werden könnte. Jetzt hat Premierminister Ariel Scharon den Schleier gelüftet, wer der bislang nur als „J“ bekannte Neue ist: Juval Diskin.

Der 49-jährige Vater von fünf Kindern diente von 1974 bis 1978 in der Nachrichtendiensteinheit „Schaked“ der israelischen Armee, zuletzt als stellvertretender Kompaniekommandeur. Danach war er in seiner 27-jährigen Dienstzeit im „Schabak“ Koordinator für Nablus, Dschenin und Tulkarem, stellvertretender Leiter des Distrikts Jerusalem, dem das gesamte Gebiet von Judäa und Samaria untergeordnet ist, und Leiter der Abteilung für arabische Angelegenheiten.

Während des Libanonkrieges war er in Beirut und Sidon stationiert. In den Jahren nach den Abkommen von Oslo stieg er auf zum Leiter des Jerusalem Distrikts, und schließlich von 2000 bis 2003 zum stellvertretenden „Schin Beit“-Chef. Von den israelischen Medien wird Juval Diskins „meteoritenhaft“ gefeiert. Der ehemalige „Schin Beit“-Chef Jakov Perry beschwichtigte gegenüber der englischsprachigen „Jerusalem Post“: „Er hat ganz normal die gesamte Hierarchie der Organisation durchlaufen.“

Seit Sommer 2003 genoss Juval Diskin ein Schabbatjahr, um akademische Studien zu verfolgen. In dieser Zeit diente er aber nebenbei als Sonderberater von Meir Dagan, dem Leiter des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad. Diskin hat einen B.A. in „Land Israel Studien“ und politischer Wissenschaft der eher jüdisch-orthodox orientierten Bar-Ilan-Universität und einen Magister in Politikwissenschaft und öffentlicher Verwaltung der Universität Haifa.

Israelische Offiziere, die lange Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben, beschreiben ihn als Visionär mit einer gesunden Weltanschauung, der vor allem ein sehr gutes Verständnis für die innere Situation der palästinensischen Gesellschaft mitbringt. In den Jahren zwischen 1993 und 1997 war er maßgeblich am Aufbau geheimer Verbindungen mit den palästinensischen Geheimdiensten beteiligt. Aus dieser Zeit kennt der neue „Schabak“-Chef praktisch alle maßgeblichen palästinensischen Sicherheitschefs sehr gut auf persönlicher Ebene.

Diskin wird als „charismatischer Organisator“ beschrieben. Sein Verdienst ist die enge Kooperation von Generalstab, Luftwaffe und Geheimdienst zum Zwecke der gezielten Tötung von palästinensischen Terroristen, ein Konzept, das weitgehend seiner Initiative zugeschrieben wird. Die gezielten Tötungen von entscheidenden Drahtziehern des palästinensischen Terrors hat nachweislich entscheidend zur Verbesserung der Sicherheitslage Israels beigetragen.

Ein Schlüssel zum Erfolg war dabei, Sicherheitsexperten zufolge, die Doktrin, dass nachrichtendienstliche Informationen die Operationen im Feld bestimmen – und nicht umgekehrt. Diskin vertrat dabei eine offensive Vorgehensweise und setzte durch, dass nicht nur „tickende Bomben“ ins Visier genommen wurden, sondern auch die dahinter stehenden Verantwortlichen, das heißt die gesamte „tickende Infrastruktur“. Die Zerstörung der militärischen Infrastruktur der Hamas in Judäa und Samaria wird Juval Diskin zugeschrieben. Insofern steht sein Name für einen kompromisslosen Kampf gegen den Terror.

Deshalb hat die Menschenrechtsorganisation „Öffentliches Komitee gegen Folter in Israel“ (PCATI) in einem Brief an Premierminister Scharon und Generalstaatsanwalt Menachem Masus Einspruch gegen die Ernennung Diskins erhoben. Bis zum Mai 2004 habe die von Diskin befürwortete Vorgehensweise, „die Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren“, das Leben von 237 Zielpersonen und 125 unschuldigen Passanten gefordert.

Juval Diskin ist dafür bekannt, seine Meinung nachdrücklich zu vertreten. So verlor er nie die soziale Lage in den Palästinensergebieten aus den Augen, mahnte eine Überprüfung der Anwendung militärischer Macht an und sprach sich gegen eine Ausweisung Jasser Arafats aus. Allerdings konnte er in der Vergangenheit auch Fehlschläge eingestehen, wie etwa die Größe der Bombe, die neben Hamasführer Salah Schehade auch 14 unbeteiligte Palästinenser tötete.

Die hebräische Tageszeitung „Ha´aretz“, die für ihre guten Beziehungen zu Sicherheitskreisen bekannt ist, zitiert „enge Bekannte“ Diskins, die ihn als „richtige Kombination von Kämpfer, Praktiker und Nachrichtendienstoffizier“ bezeichnen. Außerdem hat der neue Geheimdienstchef immer betont, dass militärische Maßnahmen allein nicht ausreichen, um des Terrors Herr zu werden. Ein diplomatischer Prozess sei unumgänglich.

Eine der größten Herausforderungen für Juval Diskin wird die mögliche Räumung jüdischer Siedlungen im Gazastreifen und im Norden Samarias sein. Außerdem wird er für die Sicherheitskoordination zwischen der israelischen Armee und den palästinensischen Sicherheitskräften verantwortlich sein. Darüber hinaus muss der Schabak aber auch die Hisbollah im Libanon und den Iran im Auge behalten und gleichzeitig gute Beziehungen zu den ägyptischen und jordanischen Geheimdiensten aufbauen. Im Mai 2005 wird Avi Dichter nach 29 Dienstjahren offiziell seinen Platz für den Strategen Diskin räumen.

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