Der Trainer, der blieb

In Naharia fielen Raketen, doch Roni Gechtberg hielt den Unterricht aufrecht. Ein Porträt über Mut, Routine und Verantwortung.
Von Israelnetz

Wenn die Luftschutzsirenen ertönten, wussten die Kinder im Karatekurs von Roni Gechtberg genau, was zu tun war. Sie unterbrachen ihre Übungen, rannten in den geschützten Raum und warteten — manchmal Minuten, manchmal länger —, während Raketen aus dem Libanon im Norden Israels einschlugen. Die Angriffe, die israelische Behörden als unbegründeten und gezielt gegen Wohngebiete gerichteten Beschuss einstuften, prägten monatelang den Alltag der Küstenstadt Naharia.

Mit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem Terroristen nach Israel eindrangen und Zivilisten sowie Soldaten töteten und verschleppten, begann auch an der Nordgrenze ein neuer Abschnitt des Konflikts. Kurz darauf eröffnete die Hisbollah das Feuer und beschoss Städte und Dörfer im Norden Israels mit Raketen und Drohnen. Naharia geriet für Wochen unter regelmäßigen Beschuss; Schulen blieben geschlossen, Familien suchten Schutz oder verließen die Region.

Inmitten dieser Situation setzte Roni Gechtberg, 27 Jahre alt und seit seiner Kindheit in Naharia verwurzelt, sein Training fort — zunächst in gewöhnlichen Studios, später in Schutzräumen und schließlich online.

„Die Kinder hatten Angst“, sagt Gechtberg. „Doch das Training gab ihnen Struktur, etwas, worauf sie sich verlassen konnten.“

Sportliche Erfolge

Gechtberg ist bis heute der erste und einzige Israeli, der in der olympisch anerkannten Disiplin des Welt-Karate-Verbandes (WKF) eine Europameisterschaftsmedaille gewann. Außerdem war er der erste Israeli, der bei den Europäischen Olympischen Spielen antrat. Zwölf nationale Titel in Folge und jahrelange Trainingsaufenthalte im Ausland zeugen von einer Karriere, die in seinem Sport außergewöhnlich ist.

Doch all das rückte in den Hintergrund: „Am Anfang des Krieges ging es nur darum, für die Kinder da zu sein“, sagt er. „Ich musste ihnen zeigen, dass es weitergeht.“

Neben seiner Trainertätigkeit bleibt Gechtberg aktiver Leistungssportler. Er trainiert ein- bis zweimal täglich, sieben Tage die Woche. Morgens stehen Kraft und Ausdauer auf dem Programm, abends Technik, Tempo und Sparring. „Wenn man international bestehen will, muss man täglich trainieren“, sagt er. An vielen Wochenenden fährt er zu Lehrgängen nach Wingate oder Modi’in, um mit anderen Kadersportlern zu arbeiten.

Training in Marokko, während die Welt aus den Fugen gerät

Als die ersten Nachrichten vom 7. Oktober ihn erreichten, war Gechtberg in Marokko, um sich in einem hochkarätigen Trainingslager auf die Weltmeisterschaften vorzubereiten. Draußen demonstrierten Zehntausende, drinnen berieten Trainer und Athleten über Sicherheit und mögliche Rückreisen.

„Es hat mich mental viel stärker getroffen, als ich erwartet hatte“, sagt er. „Ich fühlte plötzlich eine enorme Verantwortung, Israel zu repräsentieren, und das beeinträchtigte meine Konzentration.“

Professionalität und Schutz – weit weg von Zuhause

Die marokkanischen Offiziellen reagierten besonnen und äußerst loyal. „Sie sagten zu mir: ‚Du bist hier Familienmitglied. Du bist sicher‘“, erinnert sich Gechtberg. Politik spielte im Trainingslager keine Rolle. „Es ging einzig um Professionalität.“

Er gewann zwei Kämpfe, merkte aber schnell, dass er nicht in Bestform war. „Ich war nicht ganz bei mir“, sagt er.

Zurück nach Naharia und in die Realität

Nach seiner Rückkehr musste Gechtberg zunächst selbst wieder Boden unter den Füßen finden: „Kein Training, keine Arbeit … nur Sirenen. Man weiß nicht, wie der nächste Tag aussieht. Das schlägt auf die Psyche.“

Nach zwei Tagen zwang er sich in eine Routine: Training mithilfe von Videoübungen, Karate-Drills im Wohnzimmer, später Online-Einheiten für seine Schüler. Als die Gemeinde Schutzräume zur Verfügung stellte, nahm er das Präsenztraining wieder auf.

„Einen Monat lang haben wir ausschließlich im Schutzraum trainiert“, sagt er. „Das schult eine ganz andere Form von Disziplin — innerlich wie äußerlich.“

Politik im Hintergrund des Sports

Auch auf der Tatami (Karate-Kampfmatte) blieb der Krieg spürbar. Internationale Freundschaften veränderten sich; einige lösten sich nahezu in Luft auf. „Ein ukrainischer Athlet, den ich als engen Freund betrachtet habe, hat sich aufgrund dessen, was er online sah, stark distanziert“, erzählt Gechtberg.

Bei Wettkämpfen traten politische Symbole offen zutage: Athleten aus Kuwait mit PLO-Schals, angespanntes Schweigen am Mattenrand. Einmal verschwand sogar seine Sporttasche und tauchte erst wieder auf, nachdem Offizielle die Teams darauf hingewiesen hatten, dass Überwachungskameras alles erfassten.

Auch abseits der Wettkämpfe war die Resonanz gemischt. Viele internationale Trainer und Athleten meldeten sich sofort, boten Unterstützung an und erkundigten sich nach seiner Sicherheit. Andere wiederum reagierten zurückhaltend oder distanziert — beeinflusst von Schlagzeilen und Dozialen Medien. „Man erkennt sehr schnell, wer wirklich zu einem steht“, sagt Gechtberg. Besonders aus jüdischen Gemeinden weltweit erhielt er spürbare Solidarität.

Die Entscheidung, zu bleiben

Während des Krieges erhielt Gechtberg Angebote von zwei Ländern, für sie zu starten oder seine Karriere ins Ausland zu verlagern. Er lehnte ab.

„Ich repräsentiere Israel“, sagt er. „Für mich ist das eine Aufgabe.“ Im Ausland wäre er „einer von Millionen“ gewesen — in Israel hingegen habe sein Erfolg eine Bedeutung, die weit über den Sport hinausreiche.

„Gerade jetzt wollte ich nicht gehen“, ergänzt er. „Mein Platz ist hier, bei meinen Schülern.“

Ein Beruf ohne doppelten Boden

Karate zählt in Israel nicht zu den finanziell abgesicherten Sportarten. „Selbst eine Europamedaille sichert dir kaum Unterstützung“, merkt er an. „Man verdient an einer Tankstelle mehr.“

Sein Einkommen stammt überwiegend aus seiner Trainertätigkeit. Sein Verein, Gechtberg Karate, betreut Kinder und Erwachsene zwischen dreieinhalb und sechzig Jahren.

„Mir wurde gesagt, jemand wie ich könne nie an die europäische Spitze kommen“, sagt er. „Ich habe das Gegenteil bewiesen. Und ich habe noch nicht vor, damit aufzuhören.“

Von: Neli Shoifer

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