Nobelpreis für Chemiker aus Jordanien

In einer jordanischen Bücherei entdeckt ein Schüler seine Liebe zur Chemie. 55 Jahre später wird er für den Nobelpreis nominiert.
Von Israelnetz

STOCKHOLM (inn) – Einer der drei Nominierten für den diesjährigen Chemie-Nobelpreis wuchs in Jordanien als Kind palästinensischer Flüchtlinge auf. Mit geringen Englischkenntnissen kam er zum Studium in die USA. Dort verwirklichte er seinen Traum von der Forschung.

Das Nobelpreiskomitee in Stockholm gab die designierten Preisträger am Mittwoch bekannt: Der Japaner Susumu Kitagawa, der US-Amerikaner Richard Robson und der amerikanisch-jordanisch-palästinensische Wissenschaftler Omar Yaghi. Letzterer lehrt und forscht derzeit an der Universität von Kalifornien in Berkley.

Von der Nominierung erfuhr er auf einem Flug, kurz vor der Landung. Als er dabei war umzusteigen, kam ein Anruf vom Nobelpreiskomitee, das um ein erstes Interview bat. Dieses endete mit den Vorbereitungen für den Weiterflug.

Nach seiner ersten Reaktion gefragt, sagte Yaghi: „erstaunt, angetan, überwältigt“. Der Vermutung, dass er wohl der erste in Jordanien geborene Nobelpreisträger sei, stimmte der 60-Jährige zu.

Ein Dutzend Menschen und Vieh in einem Raum

Er sei in einem ärmlichen Haus aufgewachsen, erzählte der Materialforscher, der 1965 in der jordanischen Hauptstadt Amman zur Welt kam. Ein Dutzend Menschen hätten in einem Raum gelebt, den sie sich noch mit dem Vieh geteilt hätten. Der Vater war Metzger. Sie hatten weder Strom noch fließendes Wasser. „Ich wurde in eine Flüchtlingsfamilie hineingeboren.“

Sein Vater habe die sechste Klasse abgeschlossen und die Mutter nicht einmal lesen und schreiben können. „Es ist eine ganz schön große Reise, und die Wissenschaft ermöglicht das. Ich meine, Wissenschaft ist die größte gleichmachende Macht der Welt.“

Die Schönheit der Chemie entdeckte er bereits als Kind: „Als ich zehn Jahre alt war, ging ich in die Bücherei und schlug ein Buch auf. Darin fand ich Moleküle – wir nennen das Kugel-Stab-Modelle von Molekülen. Ich wusste nicht, dass es Moleküle waren, aber irgendwie wurde ich sofort von ihnen angezogen. Später lernte ich, dass dies die Moleküle sind, die unsere Welt ausmachen.“

Seitdem habe er Probleme ausgewählt, die es zu untersuchen galt: „chemische Probleme, intellektuelle Probleme, basierend auf der Schönheit der Moleküle, die erstellt und studiert werden müssen“. Als er 15 war, forderte ihn der Vater auf, in den USA zu studieren. Nach der Schule kam er allein nach Troy im Bundesstaat New York. Dort erhielt er Unterricht in Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften.

Traum: Ein Artikel, der 100-mal zitiert wird

Seine Karriere begann an der „Arizona State University“. „Mein Traum war es, wenigstens einen Artikel zu veröffentlichen, der wenigstens 100-mal zitiert wird“, erzählte er in dem Interview. „Jetzt sagen meine Studenten, dass unsere Gruppe über 250.000 Erwähnungen erhielt. Ja, es war total unerwartet.“ Seine Forschung habe eine Goldmine eröffnet.

Yaghi gilt als „Vater des Felds der Metall-organischen Gerüstverbindungen“ (MOF). Den Anstoß für die Forschung lieferte Robson. Er testete 1989 die Anwendung der charakteristischen Eigenschaften von Atomen auf eine neue Weise, verknüpfte positiv geladene Kupferionen mit einem vierfach gebundenen Molekül. Dabei entstand ein wohlgeordneter, weiträumiger Kristall, der aussah wie ein Diamant voller Hohlräume. Der Amerikaner erkannte sofort das Potential, doch das Konstrukt war instabil.

Hier kam die Forschung von Kitagawa und Yaghi zum Tragen, die zwischen 1992 und 2003 unabhängig voneinander mehrere revolutionäre Entdeckungen machten. Der Japaner erkannte, dass Gase hinein- und herausströmen können. Yaghi schuf ein sehr stabiles MOF und zeigte, dass es modifiziert werden kann. Chemiker können Baublöcke variieren und so gestalten, dass sie bestimmte Substanzen aufnehmen und lagern.

Neue Form der molekularen Architektur

Das Nobelpreiskomitee spricht von einer neuen Form der molekularen Architektur, bei der Metallionen als Ecksteine dienten. Diese würden durch lange organische Moleküle verbunden, basierend auf Kohlenstoff. Der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees für Chemie, Heiner Linke, sagte: „Metall-organische Gerüstverbindungen haben ein enormes Potential. Sie bringen unvorhergesehene Möglichkeiten für maßgearbeitete Materialien mit neuen Funktionen.“

Praktisch heißt das: Mithilfe von Metall-organischen Gerüstverbindungen könnten etwa Industriechemikalien von Wasser abgeschieden und Kohlendioxid gebunden werden. Auch ist es möglich, Wasser aus Wüstenluft zu gewinnen.

Yaghi hat sich nach eigener Aussage nicht aufgemacht, um das Kohleproblem oder das Wasserproblem der Welt zu lösen. „Ich machte mich auf, um schöne Dinge zu bauen und intellektuelle Probleme zu lösen.“

Foto: Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences
Das von Yaghi konstruierte MOF-5 hat kubische Hohlräume. Ein paar Gramm können eine Fläche fassen, die so groß ist wie ein Fußballfeld.

Der Materialforscher ist seit 2022 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie schreibt auf ihrer Website: Der Wissenschaftler habe mehrere Klassen neuer Materialien mit enorm großer Oberfläche sowie sehr geringer Dichte entwickelt, die sie für zahlreiche Aufgaben in der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Anwendung prädestinieren. „Omar M. Yaghi hat damit ein neues Feld in der Chemie, die retikuläre Chemie, eröffnet und den Anstoß gegeben, Materialien mit völlig neuen Eigenschaften zu entwickeln.“

Weiter heißt es: „1995 gelang es Omar M. Yaghi erstmals, eine metallorganische Gerüstverbindung (metal-organic framework MOF) herzustellen, deren Metallionen über geladene organische Verbindungselemente, sogenannte Carboxylate, verknüpft sind. Das war ein Novum, denn damals waren die hybrid-organische und die anorganische Festkörpersynthese noch weit voneinander entfernt.“ Yaghi sei einer der führenden Chemiker auf dem Gebiet der Materialwissenschaften.

„Von Flüchtlingswurzeln zu Nobel-Ruhm“

Die in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinenden „Gulf News“ würdigten die Karriere des Forschers aus Amman: „Von Flüchtlingswurzeln zu Nobel-Ruhm ist Omar Yaghis Leben ein Zeugnis von der Macht der Ausdauer, Vorstellung und der universellen Sprache der Wissenschaft.“

Alle Nobelpreise werden traditionell am 10. Dezember überreicht. Dies ist der Todestag des Stifters Alfred Nobel. (eh)

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5 Antworten

  1. Es ist Immer schön, wenn Menschen, welche in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen sind, studieren können und dann später auch große Erfolge verbuchen können.

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  2. Großer Glückwunsch von mir. Seine Lebensgeschichte zeigt, dass man als Palästinenser etwas aus seinem Leben machen kann, wenn man will, die Kraft und den Willen dazu hat. Großartig

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    1. Seine Herkunft ist unerheblich, wichtig ist, was er im Kopf hat und was er daraus macht. Er hat das Potenzial und die Möglichkeiten dieser organometallischen Verbindungen erkannt und sie bis zur Stabilität modifiziert. Nun liegt es an anderen, auf der Basis dieser Erkenntnisse etwas sinnvolles draus zu machen.
      Er und seine Kollegen mögen dabei hoffentlich eine bedeutsame Rolle spielen.
      Meine respektvolle Gratulation.
      SHALOM

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  3. Es freut mich, dass seine Geschichte zeigt, dass sich die Nachfahren von, vor den bewaffneten Kräften arabischer Staaten, Geflüchteten, die damals noch keine palästinensische Identität ausgebildet hatten, zumindest keine mit der heutigen vergleichbare, nicht zu einer „Karriere“ als Terrorkämpfer verdammt sind. Es hat eben, wie überall auf der Welt, viel damit zu tun, unter welchen Einfluss die Menschen kommen, wovon sie fasziniert werden/sich faszinieren lassen.

    Gestern Abend ging es bei uns um Chemie.
    Faszinierend wie der HERR sich das alles ausgedacht hat, damit es auch funktioniert.
    Der Dozent sprach unter anderem über den Sonderfall Wasser, in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich und (eine) Grundlage für Leben.
    Auch an der Stelle als es, im Rahmen von Stoffbindungeneigenschaften, um Restvalenzbindung und Hochpolymere ging, dachte ich: wie weise doch alles durchdacht und erschaffen ist. – „… ,und siehe, es war sehr gut. …“ (Genesis 1,31)
    Die Schöpfung ist faszinierend – im Kleinen (Teilchenphysik) wie im Großen (Kosmologie) – und damit auch ein Hinweis auf deren Schöpfer.
    „HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“ Psalm 104,24
    Amen.

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  4. Omar Yaghi hatte das Glück in einem Elternhaus aufzuwachsen, in dem die Vernunft vorherrschte.
    Zitat:
    „Als er 15 war, forderte ihn der Vater auf, in den USA zu studieren.“
    Bildung ist das Eine. Lernbereitschaft ist die Voraussetzung. Ganz gleich ob Reichtum oder Armut vorherrscht.
    Aus Interesse und Lernbereitschaft hat sich ein Leben entwickelt, im Lichte von Forschung und Wissen, zum Wohle der Menschheit.
    Welch krasser Gegensatz ist ein Elternhaus, in dem Mutter und Vater ihre Kinder als „Märtyrer“ polen.

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