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Der Jitzhak-Rabin-Gedenktag

Fünfzehn Jahre sind vergangen, seit sich am späten Abend des 4. November 1995 die Schreckensnachricht verbreitete: "Auf Rabin wurde geschossen!" Dann: "Rabin ist schwer verletzt auf dem Weg ins Krankenhaus!" Und schließlich: "Jitzhak Rabin ist tot!" Ein ganzes Volk versank in Trauer und Depression.

Selbst hartgesottene Gegner des Oslo-Prozesses erklärten: „Das hätte nie passieren dürfen! So ein Mord widerspricht allem, was das jüdische Volk je an Werten vertreten hat!“ – Weil das jüdische Israel seine nationalen Gedenktage nach dem jüdischen Kalender berechnet, fällt der Jitzhak-Rabin-Gedenktag in diesem Jahr auf den 20. Oktober.

Nach fünfzehn Jahren gibt es fast nichts im Staate Israel, das nicht dem Gedenken des ermordeten Premierministers gewidmet wäre, angefangen von der Trans-Israel-Autobahn, über Militäreinrichtungen und Krankenhäuser bis hin zu einer Unzahl von Dorfschulen. Auf öffentlichen Gedenkfeiern, in Rundfunk und Fernsehen und vor allem in den Schulen wird nationalistisch-romantisch des Helden der israelischen Demokratie gedacht, der seinen Friedenswillen mit dem Leben bezahlte. Sentimental besingt das „Schir HaRe´ut“ – das „Lied der Freundschaft“ – die „Liebe geheiligt durchs Blut“. Und natürlich darf das „Schir HaSchalom“ – das „Lied des Friedens“ – nicht fehlen, das Jitzhak Rabin noch kurz bevor die tödlichen Schüsse auf ihn abgefeuert wurden, auf der Massenveranstaltung im Zentrum Tel Avivs gesungen hatte. Später wurde das Blatt mit dem Text des Friedensliedes, durchschossen und mit seinem Blut getränkt, wie eine Reliquie verehrt.

Demokratische Werte, die Grenzen des Rechts auf Meinungsäußerung und die Folgen von öffentlicher Hetze, aber auch die Gewalt in der Gesellschaft werden allseits diskutiert. Stolz rezitiert ein Zehnjähriger, was er für die Jitzhak-Rabin-Gedenkfeier in seiner Schule auswendig lernen musste, um es dort öffentlich vorzutragen. Genau weiß er, wann Rabins zweite Amtszeit begann, welche Ämter er innehatte, was er erreicht hat und warum er dann den Friedensnobelpreis verliehen bekam. Auf die Frage, was Rabin denn in seiner ersten Amtsperiode gemacht habe, kommt lapidar: „Das muss ein anderer vor mir sagen.“

Spontane Umfragen stellen fest, dass sich „die heutige Jugend“ immer weniger um das kümmert, was vor eineinhalb Jahrzehnten die ganze Welt bewegt hat. Immerhin fand sich auf der Beerdigung des israelischen Regierungschefs eine illustre Gesellschaft von hochrangigen Politikern ein, die danach kaum ein Krisengipfel hätte versammeln können. Jetzt wusste ein Soldat keine Antwort darauf, wer den Spruch „Schalom Chaver“ geprägt hat – obwohl die Abschiedsworte von Präsident Bill Clinton doch jahrelang per Sticker der israelischen Gesellschaft ins kollektive Gedächtnis geklebt worden waren. „Unser ganzes Erziehungssystem hat kläglich versagt“, lamentiert ein Rundfunkjournalist.

Jüdische Mörder schon in der Bibel

Alle Jahre wieder zermürbt sich die israelische Gesellschaft mit der Frage, wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Jude einen jüdischen Regierungschef ermorden konnte. Implizit – aber natürlich unausgesprochen – steht im Raum: Wäre es doch wenigstens ein Araber gewesen… Dabei wird vergessen, dass schon die Bibel davon berichtet, wie Jischmael, der Sohn Netanjas, und seine Mitverschwörer den jüdischen Kanzler Gedalja meuchlings ermordeten (2. Könige 25,25; Jeremia 41). Laut jüdischer Tradition wurde der zweite Tempel wegen des sinnlosen Bruderhasses im jüdischen Volk zerstört. Und: Dass Juden auf Juden schießen, hat von Anfang an zum modernen Israel gehört. Die Gerüchteküche will wissen, dass im Sommer 1948 während des Unabhängigkeitskrieges ausgerechnet Jitzhak Rabin den Befehl gegeben haben soll, das jüdische Waffenschiff Altalena vor der Küste von Tel Aviv zu versenken.

Nicht nur säkulare Israelis, sondern auch Palästinenser, die sonst nicht viele Sympathien für israelische Politiker hegen, sinnieren, wie friedlich es im Orient heute aussähe, wäre der „Mar Schalom“, der „Herr Frieden“ – in Anspielung an den „Sar Schalom“, den „Friedefürsten“ des Propheten Jesaja – nicht ermordet worden. Dabei wird vollkommen unter den Teppich gefegt, dass Rabin als Kommandeur seinen Soldaten im Blick auf die Palästinenser befohlen haben soll: „Brecht ihnen die Knochen!“ Seine Witwe Lea behauptete später in ihrem Buch „Rabin – unser Leben, sein Vermächtnis“, ihr Mann habe diese Worte nie gesagt.

Doch Dalia Rabin meint, ihr Väter hätte den Oslo-Prozess wahrscheinlich gestoppt, wäre er nicht ermordet worden. Der Grund dafür sei die Terrorwelle Mitte der 1990er Jahre, und dass Jasser Arafat seine Verpflichtungen nicht eingehalten hätte. „Vater war kein Blinder, der gedankenlos vorwärts stürmte“, wird die Rabin-Tochter zitiert, und: „Schließlich war die Sicherheit des Staates für ihn sakrosankt!“ Denen, die behaupten, Jitzhak Rabins Oslo hätte Arafat Gewehre gegeben und die Intifada verursacht, hält Dalia Rabin entgegen: „Historische Prozesse entwickeln sich, ändern ihre Richtung und sind fließend. Es ist unmöglich, eine Person, die 1995 ermordet wurde, für etwas verantwortlich zu machen, das im Jahr 2000 passiert ist.“ Insofern ist es durchaus möglich, dass der Rabin-Mörder Jigal Amir durch seine Tat genau das effektiv vorangetrieben hat, was er eigentlich verhindern wollte.

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