Abdel-Schafi starb im Alter von 88 Jahren an Magenkrebs, teilte sein Sohn Chaled mit. Er hinterlässt seine Ehefrau, vier Kinder und acht Enkel.
Der Palästinenser wurde 1919 in Gaza geboren. Er praktizierte fast ein halbes Jahrhundert als Arzt. Unter seinen Landsleuten genoss er ein hohes Ansehen. „Der Name Abdel-Schafi steht für Gerechtigkeit“, erklärten die Leute auf der Straße. Maßgeblich war er an der Gründung der PLO und des Palästinensischen Roten Halbmondes beteiligt. Zu den Stationen seiner politischen Karriere gehören das PLO-Exekutivkomitee und der Palästinensische Legislativrat.
Im März 2004 traf unser Korrespondent Johannes Gerloff Abdel-Schafi in Gaza-Stadt. Aus Anlass seines Todes veröffentlichen wir das Interview noch einmal.
Israelnetz: Herr Dr. Abdel-Schafi, was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Abdel-Schafi: Das Wohl der Frauen in unserer Gesellschaft. Als Mutter prägt die Frau das Leben eines Menschen grundlegend. Frauen müssen die Bedeutung ihrer Rolle in der Kindererziehung erkennen.
Israelnetz: Welche Rolle sollten Frauen im Kampf gegen Israel spielen? Mitte Januar hat sich eine 21-jährige Mutter zweier Kinder im Auftrag der Hamas in die Luft gesprengt.
Abdel-Schafi: Das sollte die Ausnahme bleiben. Die Sorge um die Kinder ist Hauptaufgabe einer Mutter. Eine unverheiratete Frau ist allerdings frei und kann sich am Kampf beteiligen.
Israelnetz: Wie stehen Sie zur Frage der Selbstmordattentate?
Abdel-Schafi: Ich lehne sie ab, weil dabei unschuldige Menschen ums Leben kommen. Natürlich glauben manche Palästinenser, in Israel gebe es keine unschuldigen Zivilisten. Ich bin anderer Meinung. Allerdings haben wir das Recht, für unsere Rechte zu kämpfen.
Israelnetz: Der ehemalige Mossad-Chef Efraim HaLevy meint, die Palästinenser scheinen am Aufbau eines Staates gar nicht interessiert.
Abdel-Schafi: Das stimmt. Auf allen Ebenen fehlt die richtige Organisation. Wenn wir uns organisieren würden, müsste Israel sich Zukunftssorgen machen. Aber wir versinken im Chaos. Deshalb kann sich Israel ungehindert seiner Aggression widmen.
Israelnetz: Woran liegt das?
Abdel-Schafi: Unsere Führung tut nicht, was sie tun sollte. Jasser Arafat ist ein Symbol der Desorganisation. Wir sollten klare Prioritäten setzen, die Interessen von Einzelpersonen, Familien oder Fraktionen dem öffentlichen Interesse unterordnen.
Israelnetz: Wie sieht der Weg zu einem Palästinenserstaat aus?
Abdel-Schafi: Einheit ist das Gebot der Stunde. Alle Parteien sollten sich zusammensetzen und offen ihre Vorstellungen zur Sprache bringen. Dann sollte eine für alle bindende Resolution demokratisch verabschiedet werden.
Wir haben Israel militärisch nichts entgegenzusetzen. Deshalb können wir uns nur auf einen Defensivkampf einlassen. Wir sollten die Siedlungstätigkeit und alle israelischen Aktionen, die uns frustrieren, bekämpfen: Die Zerstörung von Häusern und Farmen, das Ausreißen von Bäumen. Die Welt würde uns unterstützen, weil wir so nur uns selbst verteidigen würden.
Israelnetz: Betrachten Sie das israelische Gebiet von vor 1967 auch als besetztes Land?
Abdel-Schafi: Ich denke, wir hätten schon 1947 den Teilungsplan akzeptieren sollen. Diese Chance wurde verpasst und Israel konnte seine Ziele verwirklichen. Heute ist unser erklärtes Ziel ein Staat in den Grenzen von 1967. Problematisch ist, dass Israel unbekümmert seine Strategie der vollendeten Tatsachen durch den Siedlungsbau fortsetzt.
Israelnetz: Vor ein paar Wochen hat das Internationale Rote Kreuz einen gemeinsamen Kurs von Sanitätern des israelischen Roten Davidssterns und des palästinensischen Roten Halbmonds organisiert. Dabei kam die gute Kooperation der Rettungsorganisationen zur Sprache.
Abdel-Schafi: Ja, normale Leute sind flexibler als Politiker.
Israelnetz: Werden Sie selbst eine friedliche Koexistenz noch erleben?
Abdel-Schafi: [lacht] Sicher nicht. Aber ich hoffe, dass es sich auf lange Sicht verwirklichen lässt. Schließlich sind wir und die Israelis Vettern.