MÜNCHEN (inn) – Fast genau 30 Jahre nach dem Olympia-Massaker von 1972 kehrt eine israelische Mannschaft nach München zurück. Die Israelis wollen bei den am Dienstag beginnenden Leichtathletik-Europameisterschaften nicht allein der elf von Palästinensern ermordeten Kameraden gedenken, sondern auch Medaillen holen.
Und die Chancen auf Edelmetall für die 17 Teilnehmer zählende Delegation stehen diesmal nicht schlecht. Die Hoffnungen ruhen auf Hürdensprinterin Irena Lansky und auf Stabhochspringer Alex Averbuch, dem amtierenden Vizeweltmeister. Dessen Jahresbestleistung von 5,72 muß er in München jedoch um mindestens fünf Zentimeter steigern, wenn er eine Medaille gewinnen will. Außenseiterchancen hat auch der zweite israelische Stabhochspringer, Denis Holev-Likah, der in diesem Jahr bereits 5,71 Meter übersprang.
Die israelische Delegation wird sich während dem kommenden Sonntag zu einer Gedenkfeier für die Opfer des Terroranschlags auf die israelische Olympia-Mannschaft versammeln. Daran werden auch Angehörige der von Palästinensern ermordeten Sportler teilnehmen.
Hintergrund: Das Massaker von München
Ein mit Maschinenpistolen und Handgranaten bewaffnetes Kommando des PLO-Geheimbundes Schwarzer September hatte am 5. September gegen 4:30 Uhr das israelische Mannschaftsquartier im Olympischen Dorf überfallen und elf Sportler als Geiseln genommen (andere entkommen). Sie verlangen die Freilassung von 200 Gesinnungsgenossen aus israelischer Haft. Zwei Israelis (Moshe Weinberg, 33, und Josef Romano, 32), die Terroristen am Eindringen hindern wollen, werden ermordet.
Die Regierung Israels lehnt Verhandlungen mit Terroristen ab. Nach zwei verstrichenen Ultimaten verlangen die Terroristen am Abend freien Abzug nach Kairo – die Geiseln wollen sie mitnehmen. Die ägyptische Olympiamannschaft beendet vorzeitig die Teilnahme an den Spielen.
Am Flughafen Fürstenfeldbruck kommt es schließlich zwischen der Polizei und den insgesamt acht Palästinensern zu einem fast drei Stunden anhaltenden Drama – einer mißglückten Befreiungsaktion, in deren Verlauf fünf der acht Terroristen erschossen werden. Drei Täter werden verhaftet. Sie töten jedoch alle neun israelischen Geiseln: David Berger (28), Josef Gottfreund (40), Eliezer Halfin (24), Ze´ev Friedman (28), Mark Slavin (18), Amizur Shapira (40), André Spitzer (27), Kehat Shor (53) und Ya´akov Springer (51).
„Sie waren wahre und tapfere Sportkameraden und starben in der Blüte ihres Lebens“, sagte Israels Chef der Mission, Shmuel Lalkin, in München. Er beklagte die „barbarische Schändung des olympischen Geistes“, kündigte jedoch an, sein Land werde weiterhin Sportler zu Olympischen Spielen entsenden. „In tiefer Erschütterung verläßt die israelische Delegation diesen Ort. Wir danken allen für die uns erwiesene Solidarität“, sagte Lalkin zum Abschied aus München.
Nach kurzer Unterbrechung verkündet der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Avery Brundage (Spitzname: Average Brandy): „Die Spiele müssen weitergehen! (The Games must go on)“. Am nächsten Tag gegen 13 Uhr werden die Wettkämpfe wieder aufgenommen.
Das Massaker von München rief weltweit Empörung hervor, ferner gab es im In- und Ausland Kritik an den deutschen Sicherheitskräften. Bundeskanzler Willy Brandt äußerte sich „entsetzt über dieses abscheuliche Verbrechen“. US-Präsident Richard Nixon äußerte sich „tief empört“. Der Präsident des Organisations-Komitees für die Spiele, Willy Daume, sagte: „Sie haben uns die Seele aus dem Leib geschossen.“
Während die Arabische Liga das Verbrechen der Palästinenser offiziell „mißbilligte“, sahen Kommentatoren arabischer Zeitungen dies anders. „Die öffentliche Meinung ist schon immer gegen die Araber gewesen, ohne deren Standpunkt (im Streit mit Israel) auch nur in Erwägung zu ziehen“, heißt es in einer Beiruter Zeitung.
Und die 1880 gegründete englischsprachige „Egyptian Gazette“ brachte eine verbreitete Meinung zum Ausdruck: „Der Angriff von München ist nur einer von vielen. Die Welt kann diese Angriffe als Verbrechen bezeichnen. Sie muß jedoch davon ausgehen, daß sie fortgesetzt werden, bis die Palästinenser ihre Rechte wiedererlangt haben.“