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Israel bestätigt erstmals Luftangriff in Syrien

Ein ungewöhnlicher Vorgang: Anfang dieser Woche hat Israel erstmals offiziell einen Luftangriff in Syrien vermeldet. Nun stellt sich die Frage, was das Land mit dem Schritt bezweckt.
Das Beschweigen israelischer Luftangriffe war in den vergangenen Jahren gang und gäbe

Nördlich von Israel ist es am 16. Oktober zu einem militärischen Zwischenfall gekommen. Israelische Aufklärungsflugzeuge überflogen den Libanon und wurden von einer syrischen Rakete beschossen. Nach der Heimkehr der Aufklärungsmaschinen schickte Israel Kampfflugzeuge. Mit einer Rakete zerstörten sie die syrische Luftabwehrstellung nahe Damaskus, von wo aus der Angriff auf die Aufklärungsflugzeuge mit einer russischen SA5-Rakete erfolgt war.

Derartige Scharmützel sind nichts Neues und wurden in den vergangenen Jahren immer wieder von „ausländischen Quellen“ gemeldet. Auch der frühere Luftwaffenchef Amir Eschel hatte mit Bezug auf den Libanon von derlei Aktionen im Nachhinein gesprochen. Doch nun hat erstmals der israelische Militärsprecher Jonathan Conricus diese Kette von Ereignissen offiziell bestätigt. Auf Twitter hieß es: „Als Antwort haben Flugzeuge der israelischen Armee Luftabwehr-Stellungen in Syrien angegriffen.“

Den Vereinten Nationen zufolge herrscht dann Krieg, wenn ein Land von seinem Nachbarn militärisch angegriffen wird. Doch solange der Angriff nicht offiziell als solcher bestätigt und dargestellt worden ist, kann man so tun, als wäre nichts passiert.

Formal betrachtet könnten Israelis wie Syrer jeden militärischen Übergriff der anderen Seite als „Kriegserklärung“ sehen. Das gilt für Querschläger des syrischen Bürgerkriegs entlang der gemeinsamen Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen – also Schüsse oder Granatbeschuss – was durchaus auch schon israelische Opfer gefordert hat. Als „Kriegserklärung“ könnten aber genauso gut auch „mutmaßliche“ israelische Bombardements auf dem Flughafen von Damaskus oder syrischen Militärstellungen gewertet werden.

Diplomatisches Schweigen

Laut „ausländischen Quellen“ flogen unter dem Decknamen „Operation Obstgarten“ vier israelische F-15-Kampfflugzeuge am 6. September 2007 einen Angriff auf den Al-Kibar-Reaktor in Syrien und zerstörten ihn. Angeblich bastelten die Syrer dort mit Hilfe aus Nordkorea an einer Atombombe. Doch Israel hat diesen mächtigen Schlag niemals bestätigt. Syrien schwieg unterdessen zu dem Vorfall, weil es nicht eingestehen konnte, sich in einen unangemeldeten Atomreaktor am Bau einer Atombombe zu versuchen. Trotz riesiger Schlagzeilen in aller Welt taten die beiden direkt betroffenen Seiten so, als sei nichts passiert. Auch wenn alle Nachrichtenagenturen berichten, Menschenrechtsorganisationen und andere politische Aktivisten laut schreien, ist in der diplomatischen Welt „nichts passiert“, solange keine Seite das Ereignis offiziell bestätigt.

Syrien hat mit Israel nach dem letzten echten Krieg in Nahost, dem Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973, ein kompliziertes Entflechtungsabkommen auf den Golanhöhen geschlossen. Trotz einer ganzen Reihe von tatsächlichen oder mutmaßlichen Zwischenfällen herrscht zwischen diesen beiden Erzfeinden ein geradezu gespenstischer „Frieden“. Die ruhigste Grenze zwischen Israel und einem Nachbarn ist ausgerechnet die Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen, während es aus Libanon, Ägypten und sogar Jordanien sowie aus dem Gazastreifen immer wieder zu Raketenbeschuss oder Terrorattacken gekommen ist.

Dabei hat Israel mit mit Ägypten 1979 und mit Jordanien 1994 einen Friedensvertrag unterzeichnet. Die Israelis wissen auch genau, dass nicht etwa Ägypten hinter Raketenangriffen auf Israel – zuletzt am vergangenen Sonntag – steckt, sondern Terror-Organisationen wie Al-Qaida, die im Sinai auch gegen die ägyptische Armee ankämpfen. Israel hat mit „Militäroperationen“ reagiert, wenn die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) oder die Hisbollah von Libanon aus Israel mit Raketen beschossen hat. Ebenso gab es seit 2008 drei Gaza-„Kriege“. Aus guten völkerrechtlichen Gründen müssen diese als „Militäroperation“ und nicht als „Krieg“ bezeichnet werden, da das israelische Militär gegen Milizen oder Terror-Organisationen und nicht gegen eine fremde Armee vorgegangen ist.

Wechselseitige Abschreckung

Die eigentümliche Methode, in Syrien bestimmte Ziele anzugreifen, wobei die Israelis nichts bestätigten, während die Syrer dazu schwiegen, hatte für beide Seiten Vorteile. Israel schickte so den Syrern „Botschaften“ und unterstrich gewisse „Rote Linien“. So hat Israel offiziell erklärt, dass es keine Lieferungen hochentwickelter Waffensysteme wie Luftabwehrraketen an die Hisbollah im Libanon dulde. Genauso will Israel den Waffenschmuggel von Iran an die libanesische Miliz um jeden Preis verhindern. Die Syrer mussten zwar erniedrigende Attacken und eine Verletzung ihrer Souveränität schlucken, waren durch ihr Schweigen aber nicht gezwungen, gegen Israel in den Krieg zu ziehen.

Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 funktionierte noch eine gegenseitige Abschreckung. Die Syrer verfügten über ein von den Sowjets geliefertes Raketenarsenal, mit dem sie jeden Punkt in Israel augenblicklich treffen konnten. Damals wurde nicht einmal von Giftgas oder anderen Massenvernichtungswaffen gesprochen. Umgekehrt verfügt Israel über eine Luftwaffe und eine den Syrern klar überlegene Militärmacht, mit der ebenso jederzeit die wichtigsten Städte in Syrien in Schutt und Asche gelegt werden könnten.

Nachhaltige Botschaft

Im Jahr 1982, während des ersten Libanonkrieges kam es zu Luftgefechten über libanesischem Territorium, bei denen die Israelis ein Drittel der syrischen Kampfflugzeuge abschossen. Da sich die Luftkämpfe außerhalb des Territoriums beider Länder abspielten, kam es nicht zu einem direkten Krieg. Damals achteten die Syrer penibel darauf, die israelischen Kampfflugzeuge über dem Libanon nicht vom eigenen Territorium etwa mit Raketen zu beschießen. Sie wollten den Israelis keinen Vorwand liefern, Syrien direkt anzugreifen. Die Syrer hatten jedoch durch ihre Verluste bei den Luftkämpfen eine saftige „Lehre“ erhalten. Sie wirkt bis heute nach.

Israel war auf einen langen Bürgerkrieg in Syrien vorbereitet. Heute sind die Beziehungen nicht minder kompliziert. Im Gegensatz zu fast allen „Experten“ in Europa hatte Israel nach Ausbruch des Bürgerkriegs nicht einen baldigen Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad – innerhalb von zwei Wochen – „vorhergesehen“. Gefragt, warum Israel sich nicht mit irgendwelchen Aufständischen gegen den brutalen Diktator im nördlichen Nachbarland verbünde, kam im israelischen Außenministerium eine diffuse Antwort: Man wisse noch nicht, wer die Oberhand gewinnt und wem man wirklich vertrauen soll.

Eine diplomatische Botschaft an den Iran?

Ohne sich in die internen Zwiste spürbar einzumischen, beschränkte sich Israel vor allem auf humanitäre Hilfe. Verwundete und Kranke, Frauen und Kinder, sowie Kämpfer aller Fraktionen, die in Syrien nicht behandelt werden können, wurden an die Grenze gebracht, von israelischen Militärambulanzen übernommen und auf Krankenhäuser in Galiläa verteilt. Dort wurden sie auf israelische Staatskosten gesund gepflegt und anschließend wieder in ihre syrische Heimat zurückgeschickt.

Israelische Experten zerbrechen sich den Kopf, welche Auswirkung die ungewöhnliche Bestätigung eines Angriffs durch den israelischen Militärsprecher haben könnte. Ungeachtet des erstaunlichen Verstoßes gegen die bisherigen Spielregeln ist klar, dass die stark geschwächten Syrer sich heute keinen Krieg gegen Israel leisten könnten. Israel hingegen hat mit seiner Ankündigung nicht nur die Syrer angesprochen. Auch den Russen, Amerikanern und nicht zuletzt dem Iran hat es damit deutlich gemacht, dass es rote Linien gibt, wenn von Syrien aus, mit einer russischen Rakete, israelische Aufklärungsflugzeuge über Libanon ins Visier genommen werden.

Von: Ulrich W. Sahm

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