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„Die Situation an der Nordgrenze kann jederzeit explodieren“

Die Sicherheitslage in und um Israel ist angespannt. Doch was bereitet dem jüdischen Staat derzeit die größten Sorgen? Und was unternimmt die Armee gegen die Hamas, die sich damit brüstet, aufzurüsten und neue Terror-Tunnel zu bauen? Israelnetz hat mit dem Presseoffizier der israelischen Armee, Major Arje Scharuz Schalicar, über diese und andere Fragen gesprochen.
Sieht Israel anderen Ländern im Kampf gegen den IS-Terror einen Schritt voraus: Major Arje Scharuz Schalicar

Israelnetz: Die Lage an Israels Grenze zu Syrien ist angespannt, die Hamas brüstet sich mit dem Bau neuer Tunnel, der Iran testet neue Raketen und in Israel gibt es seit Monaten fast täglich Angriffe von Palästinensern auf Juden. Was bereitet Israel zur Zeit am meisten Sorge?

Arje Scharuz Schalicar: Die Gute Nachricht – das ist eigentlich nichts Neues. Es gab letztlich nie eine Zeit hier, wo es an allen Grenzen ruhig war. Das ist mittlerweile eine Illusion. Als Armee müssen wir wie immer in alle Richtungen schauen und jede Richtung ist gefährlich. Die Situation mit der Hisbollah an der Nordgrenze kann jederzeit explodieren, das ist unsere größte Sorge. Vor einem Monat gab es dort einen kleinen Schlagabtausch, das hat sich zum Glück wieder beruhigt. Aber es liegt etwas unter dem Teppich und das kann jederzeit hervorkommen.

Die Arabische Liga hat die Hisbollah zur Terror-Organisation erklärt.

Zu Recht. Dem sollte die ganze Welt folgen. Diese Organisation wurde vom Iran aufgebaut, ideologisch indoktriniert und mit über 100.000 Raketen ausgestattet, die auf Israel gerichtet sind. Sie verschanzt sich dabei inmitten ihrer Zivilbevölkerung. Wenn das kein Terror ist, dann weiß ich nicht, was Terror ist.

Aus Israel heißt es oft: Der Iran sei die größte Bedrohung für den jüdischen Staat. Sie sehen derzeit eher die Hisbollah im Norden in dieser Rolle?

Der Iran ist nicht direkt um die Ecke. Allerdings haben die Iraner in den vergangenen Tagen zur Schau gestellt, dass sie Langstreckenraketen testen. Auf diese haben sie geschrieben, di Raketen sollen dazu dienen, das zionistische Gebilde auszuradieren. Das ist ähnliche Propaganda wie seit Jahren, aber allein der Fakt, dass sie derartige Raketen herstellen, besorgt uns. Sie haben erst vor Kurzem ein Abkommen mit dem Westen unterzeichnet, das der Deeskalation dienen sollte. Jetzt testen sie solche Raketen, da kann man nicht von Deeskalation sprechen.

Die Hamas verkündet öffentlich, dass sie neue Terrortunnel und Beobachtungsposten an der Grenze zu Israel errichtet. Israels Bildungsminister Naftali Bennett hat deswegen einen Präventivschlag gegen die Terrorgruppe gefordert. Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Mosche Ja‘alon lehnen dies ab. Sieht Israel tatenlos zu, wie sich die Hamas neu aufstellt?

Wir sind Tag und Nacht dabei, Informationen zu sammeln. Falls es zu einem Schlagabtausch kommen sollte, dann müssen wir so präzise wie möglich Terror-Infrastruktur treffen, sprich Raketenabschussrampen, Raketenarsenale, Tunnelöffnungen oder Bunker. Eine Strategie der Hamas ist es, all diese Infrastruktur inmitten der Bevölkerung aufzubauen. Wenn wir dann beim Gegenschlag Zivilisten, Kinder treffen, dann schickt die Hamas das über die Nachrichtenagenturen raus und die ganze Welt erhält den Eindruck, dass wir Babys als Ziele haben. Darüber hinaus müssen wir zusehen, dass wir technologische Fortschritte machen, gerade jetzt, wo es noch ruhig ist. Wir arbeiten an einer Art unterirdischem „Iron Dome“, einem System, das Tunnel aufspüren kann. Wir haben vor anderthalb Jahren 32 Tunnel zerstört, die alle schon bis nach Israel reichten. Wir müssen eine Lösung finden, damit wir es mitbekommen, sobald ein Tunnel an die Grenze kommt und diese Tunnel dann zerstören.

Ägypten geht massiv gegen Tunnel im Grenzgebiet zum Gazastreifen vor. Es flutet diese. In Israel ist derzeit also nicht geplant, Tunnel zu zerstören?

Die Ägypter haben tatsächlich im Grenzgebiet zwischen 500 Metern und einem Kilometer Land kahl rasiert, Häuser abgerissen und Tunnel geflutet. Das konnten sie sich erlauben – als Muslime gegen andere Muslime, als Ägypter gegenüber der Hamas oder den Palästinensern. Das funktioniert in unserem Fall nicht. Aber ich glaube auch nicht, dass Israel das machen würde, selbst wenn es durchsetzbar wäre, denn es ist eine Sache, die eventuell auch zivile Opfer mit sich bringen würde. So wie ich meinen Staat kenne, vermeidet man das. Man nimmt lieber das Risiko auf sich, etwas Zeit abzuwarten, zu beobachten. Das heißt aber auch, dass sich die andere Seite, sprich die Hamas, immer weiter stärkt. Im Ernstfall müssen wir dann jederzeit bereit sein, mit allen möglichen verschiedenen Truppen Gefahren zu bändigen. Und diese Gefahr kann aus dem Boden gekrochen kommen.

Es gibt immer mehr Berichte, laut denen die Hamas ihre Beziehungen zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf der Sinai-Halbinsel ausbaut.

Das ist richtig. Der „Islamische Staat“ ist eine sunnitische Terror-Organisation und er hat Kontakte zur Hamas. An der Grenze zum Sinai ist dieser Kontakt sehr eng. Das ist auch einer der Gründe, warum Ägyptens Präsident Abd el-Fattah al-Sisi, als er an die Macht kam, an der Grenze zu Gaza aufgeräumt hat. Er wusste, dass die radikalen Islamisten dort mit der Hamas zusammenarbeiten und er versucht, sie voneinander zu trennen.

Staatspräsident Reuven Rivlin hat jüngst erklärt, dass der IS unter den Arabern in Israel längst Wurzeln geschlagen hat. Bisher gab es keine Anschläge des IS in Israel. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Auch in Israel gibt es Muslime, die sich dieser Ideologie anschließen oder sich angesprochen fühlen von diesen Psycho-YouTube-Videos, die der IS ab und zu im Netz veröffentlicht. Es ist aber zu unserem Glück noch nie zu einem großen Zwischenfall gekommen. Ich glaube aber auch, dass wir hier in einer ganz anderen Situation sind als andere Staaten, weil wir seit eh und je Terror bekämpfen, und zwar hautnah. Deswegen haben die Sicherheitsbehörden in unserem Land – Armee, Polizei, Geheimdienste – einen tiefen Einblick und sind oft aktiver als in anderen Ländern, wo diese IS-Gefahr eine neue Entwicklung ist. Da sind wir viele Schritte voraus, um zu vereiteln, bevor es zu einem Anschlag kommt.

Vor drei Jahren kamen die ersten syrischen Bürgerkriegsopfer zur Behandlung nach Israel. Seitdem haben israelische Ärzte zahlreichen Patienten aus Syrien geholfen. Wie hoch ist diese Zahl und wie groß ist der Aufwand für die Armee?

Es waren über 2.000 Syrer in drei Jahren. Das ist nicht vergleichbar mit Millionen von Flüchtlingen, mit denen Jordanien, der Libanon oder Europa mittlerweile fertig werden muss. Aber es sind 2.000 Männer, Frauen und Kinder, die an die Grenze zu Israel gekommen sind, teilweise halbtot, und um Hilfe gebeten haben. Wir haben an all unseren Grenzen Sanitärtruppen. Eine Aufgabe dieser Truppe auf den Golanhöhen ist es, den Syrern humanitäre Hilfe zu leisten, wenn man weiß, dass es sich nicht um Terroristen handelt. Das kostet Zeit und Geld, aber das ist eine humanitäre Sache, die man als Staat leistet. Vielleicht auch in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Man hat mit Syrern gesprochen, die gesagt haben, dass es für sie unvorstellbar gewesen ist, dass sie von ihrem Erzfeind behandelt wurden. Sie sind ja alle damit aufgewachsen, dass ihr einziger Feind auf der Welt Israel ist. Und dann wird ihr Leben von einem Israeli gerettet. Das ist für viele schon sehr schockierend. Vielleicht leiten diese 2.000 die Friedensbotschaft weiter.

Vielen Dank für das Gespräch! (dn)

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