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Warum Saudi-Arabien Katar in die Knie zwingen will

Derzeit versuchen Saudi-Arabien und seine engsten Verbündeten, den kleinen, aber sehr reichen und vor allem medial einflussreichen Wüstenstaat Katar wirtschaftlich und politisch in die Knie zu zwingen. Sie werfen dem Emirat unter anderem Terrorunterstützung und eine zu große Nähe zum Iran vor. Katar reagiert trotzig, die USA widersprüchlich, Europa besorgt. Was steckt hinter der neuen Eskalation am Golf? Eine Analyse von Carsten Polanz
Katar liegt auf einer Halbinsel im Persischen Golf, die etwa so groß ist wie Hessen. In der Erbmonarchie leben 2,6 Millionen Menschen. Doch nur 313.000 haben die katarische Bürgerschaft, die anderen halten sich als Arbeiter in dem Land auf. Das Emirat hat den weltweit drittgrößten Anteil an Erdgasreserven. Es erwirtschaftet etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mit Gas und Erdöl.

Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben am 5. Juni den Abbruch ihrer diplomatischen Beziehungen zu Katar erklärt. Sie zogen ihre Botschafter ab, schlossen ihre Grenzen zu dem kleinen Wüstenstaat, der etwa so groß wie Hessen ist, und stellten die Flugverbindungen ein. Die in den genannten Staaten lebenden Kataris wurden aufgefordert, das jeweilige Land innerhalb von 14 Tagen zu verlassen. Zudem wurde Katar aus der von den Saudis geführten Militärallianz gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen ausgeschlossen. Das saudische Religionsministerium forderte indirekt zum Sturz der katarischen Machthaber auf, indem es diesen per Rechtsgutachten jegliche religiöse Legitimität absprach. Auch Ägypten, der Jemen und eine international nicht anerkannte Interimsregierung in Ostlibyen haben sich der saudischen Anti-Katar-Koalition angeschlossen.

Tiefe politische Differenzen

Die jüngste Eskalation hat eine längere Vorgeschichte. Katar nimmt innerhalb des Golf­Kooperationsrates, zu dem auch Saudi-Arabien, Bahrain, die VAE, Oman und Kuwait gehören, die Rolle des Querdenkers ein. Die strategischen Unterschiede wurden im Zuge der arabischen Revolutionen seit 2011 besonders deutlich. Vor allem Saudi-Arabien ist bemüht, den Status quo im eigenen Land zu wahren und auch die regionale Vormachtstellung zu verteidigen. Katar hat dagegen die verschiedenen Oppositionsbewegungen sunnitischer Prägung unterstützt. Mit seinem Satellitenfernsehsender „Al-Dschasira“, der bis zu 50 Millionen arabischsprachige Zuschauer erreicht, verschaffte er ihren sozialen und politischen Anliegen und ihrer Kritik an den herrschenden Systemen Gehör. Regimekritik im eigenen Land ließ Katar freilich nicht zu.

Besonders groß sind die Unterschiede im Verhältnis zur Muslimbruderschaft. Das von Katars Nachbarn unterstützte Regime des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah as-Sisi stuft sie als terroristische Gruppierung ein und hat führende Leute zum Tod verurteilt, in den Untergrund oder ins katarische, türkische oder europäische Exil gedrängt. Die Kataris sehen dagegen in den ägyptischen Muslimbrüdern eine „demokratisch legitimierte Volksvertretung“ und setzen auch in anderen Ländern auf die Durchsetzung dieser Form eines politischen Islam. Aus diesem Grund hatten Katars Nachbarn bereits 2014 ihre Botschafter vorübergehend aus dem Land abgezogen.

Terrorunterstützung und Nähe zum Iran

Die Liste der Vorwürfe gegen Katar ist lang. Die Saudis und ihre Verbündeten werfen Katar neben der Unterstützung der Muslimbrüder auch Verbindungen zu terroristischen Gruppen wie dem IS, den afghanischen Taliban und „Terrorgruppen“ im Osten Saudi-Arabiens und Bahrains vor. Ein weiterer Kritikpunkt sind die vergleichsweise iranfreundlichen Töne aus Katar. So soll der katarische Emir Tamim Hamid al-Thani dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani zur Wiederwahl gratuliert, die Bericht­erstattung der saudischen Staatsmedien kritisiert und gleichzeitig die stabilisierende Rolle des Iran in der Region gelobt haben. Letzteres hat Katar wiederum entschieden zurückgewiesen und mit einem Hackerangriff (möglicherweise der VAE) auf die betreffende Nachrichtenagentur erklärt. Unbestritten ist jedoch, dass die schiitische Minderheit in Katar sehr viel mehr Rechte als in Saudi-Arabien genießt und Katar trotz gegensätzlicher Positionen und Interessen, zum Beispiel im syrischen Bürgerkrieg, um einen Ausgleich mit dem Iran bemüht ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die beiden Staaten das größte Erdgasfeld der Welt teilen und auf ein Mindestmaß an Kooperation angewiesen sind.

13 Bedingungen zur Aufhebung des Boykotts

Die Anti-Katar-Koalition hat am 23. Juni den Ton noch einmal verschärft und 13 Bedingungen für eine Aufhebung ihres Boykotts formuliert. Katar soll unter anderem alle diplomatischen Beziehungen und jede militärische Kooperation mit dem Iran abbrechen, jegliche Verbindung zu „terroristischen Organisationen“ kappen, von Saudi-Arabien, den VAE, Ägypten und Bahrain gesuchte „Terroristen“ an ihre Herkunftsländer ausliefern und keinen Kontakt mehr zur Opposition in den genannten Ländern pflegen. Auch der gerade im Bau befindliche türkische Militärstützpunkt soll geschlossen und jede militärische Zusammenarbeit mit der Türkei innerhalb Katars beendet werden. Zudem soll Katar den Sender „Al-Dschasira“ und von ihm finanzierte Nachrichtenagenturen wie „Arabi21“ und „Rassd“ schließen.

Katars demonstrative Gelassenheit

Katar hat die lediglich zehntägige und zwischenzeitlich um 48 Stunden verlängerte Frist zur Erfüllung der Bedingungen verstreichen lassen, die Vorwürfe der Terrorunterstützung als unhaltbar zurückgewiesen und die weitreichenden Forderungen als „klare Aggression“ gegen die Souveränität des Landes bezeichnet. Vermittlungsversuche Kuwaits sowie indirekt auch Amerikas und Deutschlands sind vorerst gescheitert. Man wolle keine weitere Eskalation, werde sich aber niemals der saudischen Souveränität unterwerfen. Die Verantwortlichen von „Al-Dschasira“ verurteilten den Versuch, „die Meinungsfreiheit in der Region und das Recht der Menschen auf Information zu unterdrücken“.

Weite Teile der katarischen Bevölkerung reagierten nach Berichten von Beobachtern vor Ort mit Trotz und Patriotismus auf die Anfeindungen der Nachbarstaaten. Nachdem zunächst sogar von Hamsterkäufen aus Angst vor drohender Lebensmittelknappheit die Rede war, scheint man mittlerweile alternative Versorgungswege für Lebensmittel und andere Importe gefunden zu haben. Der katarische Finanzminister gab sich betont zuversichtlich, dass man die Folgen der Sanktionen mit Blick auf die immensen finanziellen Rücklagen des Landes problemlos verkraften könne. Ein klares Signal der Unterstützung kam aus der Türkei, die anstelle der geforderten Auflösung ihres Stützpunktes sogar eine Verstärkung ihrer Präsenz in Katar ins Spiel brachte. Katars Nachbarn haben nach Ablauf der Frist die Sanktionen zwar nicht verschärft, ihre Forderungen aber im Sinne allgemeiner Prinzipien für zukünftige Beziehungen bekräftigt. Die ägyptische Verwaltungsgesellschaft des Suez-Kanals kündigte an, künftig katarischen Schiffen keinen Zugang mehr zur Wirtschaftszone des Kanals zu ermöglichen.

Widersprüchliche Signale der USA

Manche Nahostexperten werfen US-Präsident Donald Trump vor, mit seinem „Schwerttanz“ beim Treffen mit 50 islamischen Staaten (ohne den Iran) in Riad die sunnitisch-schiitischen Konflikte weiter angeheizt und durch die gemischten Signale auf die aktuelle Golfkrise auch die innersunnitischen Spannungen verschärft zu haben. Vor allem sein Außenminister Rex Tillerson schien von Anfang an um Deeskalation und Versachlichung des Streits bemüht zu sein. Die USA sind mit allen Konfliktparteien eng verbündet und gerade hinsichtlich ihrer Anti-IS-Koalition auf eine geschlossene Front angewiesen. In Katar befindet sich eine große Militärbasis mit 10.000 amerikanischen Soldaten, die gerade bei den Einsätzen in Syrien und dem Irak eine zentrale Rolle spielt. Während Trump auf seiner letzten Reise durch den Nahen Osten bereits mit Saudi-Arabien einen 110 Milliarden schweren Waffendeal vereinbart hatte, folgte ausgerechnet wenige Tage nach Bekanntgabe des Embargos ein Geschäft mit Katar, in dem es um den Verkauf amerikanischer Kampfflugzeuge im Wert von 12 Milliarden Dollar geht.

Schwarz-Weiß-Bilder greifen zu kurz

Der derzeitige Konflikt lässt sich keineswegs in Schwarz-Weiß-Bildern darstellen. Zweifellos hat Katar in den vergangenen Jahren enge Beziehungen zu terroristischen Gruppen unterhalten und diese nicht selten zur Vermittlung bei Geiselnahmen genutzt. Die Verbindungen reichen von den afghanischen Taliban über die syrische, Al-Qaida nahestehende Al-Nusra-Front und die libyschen Dschihadisten der inzwischen aufgelösten Ansar al-Scharia bis hin zur libanesischen Hisbollah und zur radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen. Diese hat allein im Jahr 2012 Hilfsgelder in Höhe von 300 Millionen Dollar von Katar empfangen. Dazu passt auch, dass Katar hochrangigen Hamas-Funktionären Unterschlupf gewährt und wesentlich zum Aufstieg des bekannten ägyptischen Gelehrten und Fernsehpredigers Jusuf al-Qaradawi beigetragen hat, der als „Global Mufti“ zu den bekanntesten Befürwortern palästinensischer Selbstmordattentate im Kampf gegen Israel zählt.

Trotzdem erscheint es als äußerst lächerliches und heuchlerisches Ablenkungsmanöver, wenn sich Saudi-Arabien gegenüber dem Westen nun als Kämpfer gegen den internationalen Terrorismus und seine heimlichen Unterstützer darzustellen versucht. Es geht Saudi-Arabien vor allem darum, seine regionale Vormachtstellung gegen den Iran und allzu unabhängig und iranfreundlich auftretende sunnitische Länder zu verteidigen. Der saudische Kampf gegen den „Terrorismus“ ist nicht zuletzt der Versuch, die vornehmlich schiitische Opposition im Osten des eigenen Landes zum Schweigen zu bringen.

Saudi-Arabiens Schlüsselrolle bei der Radikalisierung

Was islamistischen Terror betrifft, haben nicht nur katarische, sondern auch saudische Geschäftsleute in der Vergangenheit Brigaden der Al-Qaida oder des Islamischen Staates mitfinanziert. Saudi-Arabien exportiert darüber hinaus seine wahhabitische Ideologie über die von ihm gesponserten Moscheen und Schulen weltweit und die in den saudischen Missionszentren ausgebildeten Prediger bereiten häufig auch in Europa den ideologischen Nährboden für islamistische Gewalt. Das ist mit Blick auf Großbritannien auch das Ergebnis einer aktuellen Studie, die die britische Regierung Ende Juli noch – offensichtlich aus Rücksicht auf ihre Handelsbeziehungen zu Saudi-Arabien – zurückhielt.

Westliche Politiker scheinen häufig auch zu verkennen oder bewusst auszublenden, dass Saudi-Arabien und andere arabische Staaten Terrorismus und Extremismus ganz anders definieren als sie. Vor allem den wahhabitischen Scheichs geht es keineswegs um jene Gruppen, die gegen Grundwerte freiheitlich­demokratischer Gesellschaften zu Felde ziehen, sondern die den eigenen nationalen und regionalen Herrschaftsanspruch und die wahhabitische Deutungshoheit im Blick auf den „wahren Islam“ infrage stellen.

Gemeinsamkeiten beider Länder

Wie Andrea Böhm, Auslandskorrespondentin der Wochenzeitung „Die Zeit“ treffend bemerkt, haben Saudi-Arabien und Katar auch über das doppelte Spiel bezüglich des radikalen Islam hinaus vieles gemeinsam. Beide Länder werden von antidemokratischen Familiendynastien regiert, verdanken ihren immensen Reichtum vor allem den riesigen Erdöl- und Erdgasvorkommen, sind mehrheitlich sunnitisch und verstehen den wahhabitischen Islam als Staatsreligion und die Scharia als Hauptquelle ihrer Gesetzgebung. Folglich sind in beiden Ländern wie auch in den anderen Golfstaaten massive Defizite bei den Menschenrechten zu beklagen. Das betrifft vor allem die Rechte von Frauen und Gastarbeitern sowie die Bereiche der Glaubens- und Meinungsfreiheit. Beide versuchen, Kritik am herrschenden System, die heute vor allem über soziale Medien geäußert wird, brutal und möglichst im Keim zu ersticken.

Was nun?

Derzeit ist kein einfacher und schneller Weg aus der Krise erkennbar. Offen ist, ob die Gegner Katars die Sanktionen noch einmal verschärfen, das Land möglicherweise aus dem Golfkooperationsrat oder der Arabischen Liga ausschließen und damit die Bildung eines dritten Blocks mit Ländern wie Katar und der Türkei befördern. Der Iran reagiert auf diese Entwicklung mit Schadenfreude. Die USA und Europa werden sich derweil weiterhin um eine Aussöhnung der Konfliktparteien bemühen – vor allem mit Blick auf ihre wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen in der Region und den vielbeschworenen Kampf gegen den äußerst widersprüchlich definierten Terrorismus.

Dr. Carsten Polanz ist Hochschuldozent für Islamwissenschaft an der Freien Theologischen Hochschule Gießen und Wissenschaftlicher Referent am Institut für Islamfragen der Evangelischen Allianz Foto: privat
Dr. Carsten Polanz ist Hochschuldozent für Islamwissenschaft an der Freien Theologischen Hochschule Gießen und Wissenschaftlicher Referent am Institut für Islamfragen der Evangelischen Allianz

Von: Carsten Polanz

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