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Israelische Abgeordnete antworten auf die Gretchenfrage

Eine israelische Tageszeitung will es wissen – und befragt die Knessetabgeordneten nach ihrem Glauben. Doch nicht alle lassen sich auf eine Antwort ein.
„Mögest Du zum Guten eingeschrieben und versiegelt sein!“, wünscht die Knesset den Israelis zum Jom Kippur – einige Abgeordnete bezweifeln aber die Existenz Gottes

„Glauben Sie an Gott?“ Die Zeitung „Ha‘aretz“ schickte im September, im Vorfeld der hohen jüdischen Feiertage, an alle 120 Abgeordneten der Knesset eine kurze Mail mit dieser Frage. Das Ergebnis wurde jetzt in einer Wochenendbeilage unter der Überschrift „Einer gegen 120“ veröffentlicht. 70 Politiker antworteten mit „Ja“, 39 verweigerten eine Antwort oder reagierten nicht, trotz weiterer Nachfrage und Telefonanrufen. Zwei antworteten so umständlich, dass nicht ergründet werden konnte, ob sie nun an Gott glaubten oder nicht.
Erstmals hat die linksgerichtete Zeitung eine solche Umfrage 1996 durchgeführt. Damals erhielt sie 91 positive Antworten, 9 Abgeordnete verneinten, und 20 verweigerten eine Antwort.
Ein einziger Abgeordneter der „Zukunftspartei“ antwortete in diesem Jahr mit einem klaren und kurzen „Nein“. Insgesamt 9 Abgeordnete glauben ausdrücklich nicht an Gott, schickten aber Rechtfertigungen zu ihrem Unglauben, weil es in Israel heute möglicherweise „politisch inkorrekt“ sei, von Gott nichts zu halten, wie die Tageszeitung kommentierte. In der Beilage sind die Antworten von jedem einzelnen Abgeordneten mitsamt Bild wiedergegeben.
Von Regierungschef Benjamin Netanjahu kam die Antwort aus seinem Amt: „Der Premierminister führt politische Gespräche in den USA. Er hat derzeit keine Zeit für leichtgewichtige Dinge.“ Bei der Umfrage 1996 hatte er erklärt, an Gott zu glauben.
Jair Lapid, Chef der „Zukunftspartei“, schrieb nur: „Verzichte“. Oppositionschef Jitzhak Herzog antwortete mit einem kurzen „Ja“, ohne weiteren Kommentar.

Zweifel und universale Liebe

Religiöse und ultraorthodoxe sowie muslimische Abgeordnete empfanden die Anfrage als „Unverschämtheit“, während andere erwartungsgemäß positiv antworteten. Manche weltliche Abgeordnete meinten, dass sie „ganz einfach“ an Gott glauben, aber seine Gesetze und die Religion nicht ausüben. Die „Ha‘aretz“-Redakteure hoben Nachman Schai (Zionistisches Lager) positiv hervor: Dieser schrieb seine Zweifel auf und stellte dann die Stimmung in seiner Synagoge dar, ohne ein Wort zu seinem Glauben zu erwähnen.
Sahava Gal-On von der linksgerichteten „Meretz“-Partei glaubt nicht an Gott. Sie rechtfertigte sich mit westlicher Philosophie, weltlichen Anschauungen und „universalen moralischen Vorstellungen von Liebe“.
Die Verweigerer einer Antwort behaupteten, sich grundsätzlich nicht an Umfragen zu beteiligen oder beklagten den Eingriff in ihre „persönlichen Angelegenheiten“. Ein Araber der „Vereinigten Liste“ forderte eine „Trennung von Religion und Staat“. Ein prominenter israelischer Politiker, der Verteidigungsminister und Vorsitzende der „Israel unser Haus“-Partei, Avigdor Lieberman, wurde nicht befragt, weil er bei seiner Ernennung zum Minister auf die Mitgliedschaft in der Knesset verzichtet hat.

„Wo war Gott beim tödlichen Waldbrand?“

Beni Begin, der Sohn des früheren Premierministers Menachem Begin und mit 73 Jahren ältester Abgeordneter, weigerte sich, „an diesem Projekt teilzunehmen“. Nava Boker vom „Likud“ glaubt an Gott und seine Kräfte, fragt sich aber, wo er denn gewesen sei, als ihr Mann bei einem Waldbrand ums Leben kam. Manche erwähnen ihre Kindheit in einem „frommen Heim“. Joav Ben Zur von der orthodoxen „Schass“-Partei weiß genau: „Wo das Wissen endet, beginnt der Glaube.“ Ilan Gilon von der „Meretz“-Partei glaubt, dass „Gott die Solidarität und die Hingabe aller Menschen“ sei. „Ich glaube aber nicht an ein metaphysisches Wesen mit Bart, das im Himmel wohnt. Ich glaube eher an synergetische Ereignisse in den Herzen der Menschen.“
Masud Ghanaim vom arabischen Bündnis „Vereinigte Liste“ glaubt an Gott und vor allem an das Jenseits, weil es dort „keine Besatzung, keinen Rassismus und keine Diskriminierung“ gebe. Mehrere Abgeordnete gaben an zu wissen, dass es Gott gibt, weil das jüdische Volk schon seit 3.500 Jahren bestehe und in Israel einen neuen Staat gegründet habe.
Tamar Sandberg (Meretz) glaubt weder an Gott noch an eine höhere Gewalt oder an ein übermenschliches Wesen. Für sie sind „wir, die Menschen, die Quelle aller Macht“. Gleichwohl wisse sie genau, dass es Gott gebe, aber nicht als „körperloses Vorkommnis“, sondern als „greifbares Wesen“. Sie schreibt: „Gott ist ein gesellschaftliches und politisches Ereignis. Der Mensch hat sich seinen Gott für seine Zwecke geschaffen, nach seinem eigenen Vorbild, fügte ihn der Sprache, der Kultur, der Kunst und der Politik ein. Es ist der Mensch, der in seinem Namen endlose blutrünstige Kriege führte und noch führen wird, Frauen unterdrückt und sich Schwulen und Lesben verweigert.“ Sie empfiehlt, Gott von dem Joch des Staates (Israel) zu befreien und ab sofort öffentliche Verkehrsmittel am Schabbat zuzulassen: „Ich bin sicher, dass er auch dafür ist.“
Dov Chanin, jüdischer Abgeordneter der „Vereinigten Liste“, sucht Mitkämpfer, die an einen Garten Eden im Himmel glauben, um die Hölle auf Erden zu verhindern. Vom Judentum übernimmt er die revolutionäre Idee des wöchentlichen Ruhetags und den Versöhnungstag (Jom Kippur) als vollkommene Pause von Arbeit und Konsum in „unserer turbo-kapitalistischen Wirklichkeit“.

Gott als Notnagel

Schelly Jachimowitsch, führendes Mitglied des „Zionistischen Lagers“, erklärt: „Ich glaube nicht. Ich bin weltlich ausgerichtet. Das Judentum ist Teil meiner Identität, Teil eines Volkes und Schicksals.“ Ihre orthodox-jüdische Familie sei im Holocaust umgebracht worden. Ihre geretteten Eltern waren wütend auf Gott und betrachteten ihn als einen „Verräter“. Zum Abschluss ihrer Ausführungen schreibt sie: „Ganz offen gestehe ich, mich in Notzeiten gelegentlich an Gott zu wenden, um auf Nummer sicher zu gehen.“
Parteigenossin Jael Cohen Paran glaubt nicht an die „persönliche Vorsehung“, sondern an eine „unendliche Energie“. Als Wissenschaftlerin habe sie bemerkt, wie schwer es sei, die Welt, in der wir leben, wirklich zu verstehen. Je tiefer man in die Dinge eindringt, um so irrationaler und unverständlicher werde sie. In diesem Sinne glaube sie an „irgendeine Kraft“, die wir nicht fassen können. Alisa Lavie von der „Zukunftspartei“ schrieb, sie seiihrem Gott erstmals im Buchara-Viertel in Jerusalem begegnet. Seitdem begleite er sie im Herzen überall hin. (uws)Eine kunterbunte Knesset (inn)
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