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Syrien – Zwei Jahre „Frühling“

In Tunesien verbrannte sich öffentlich ein junger Mann und löste damit den „arabischen Frühling“ aus. In Syrien gibt es für den Beginn der Unruhen im Februar oder April vor zwei Jahren keinen Stichtag. Der syrische „Frühling“ artete zu einem unbeschreiblichen Prozess der Selbstzerfleischung aus und forderte fast einhunderttausend Tote.
Damaskus – Hunderttausende Syrer wurden während des seit zwei Jahren anhaltenden Bürgerkrieges zu Flüchtlingen.

3.000 Jahre alte Städte mit Kulturgütern der Menschheit gleichen Berlin, Köln und Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg. Über eine Million Flüchtlinge überschwemmen die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien. Weitere Millionen suchen Unterkünfte im eigenen Land. Die Hälfte des verfügbaren Wohnraums in Syrien sei zerstört oder unbenutzbar. Genaue Zahlen gibt es nicht. Das syrische Regime lässt keine neutralen Beobachter zu, weder von der UNO noch vom Roten Kreuz oder gar Journalisten. Pressefahrten mit den Rebellen endeten mit Tod, Entführung oder schweren Verletzungen, wie unter anderen ARD-Korrespondent Jörg Armbruster erfahren musste. Selbst die Zahl der angeblich schlimm verstümmelten Opfer von Massakern der vergangenen Tagen bei Damaskus und in Dschdaidet al-Fadl lässt sich nicht ermitteln, obgleich die Toten auf der Straße herumliegen – weil die Kämpfe andauern.
Die Regierung des Präsidenten Baschar al-Assad setzt schwerste Geschütze gegen die eigene Bevölkerung ein, neben Panzern und Artillerie auch Kampfflugzeuge und Scud-Raketen. Ob chemische Waffen gegen Zivilisten gerichtet worden sind, bleibt umstritten. Schon Hafes el-Assad, der Vater des jetzigen Präsidenten, bewies die Brutalität der regierenden Assad-Clique, als er im Februar 1982 bis zu 40.000 Moslembrüder in Homs und Hama töten ließ.
Assad wird von der Minderheit der Alawiten getragen. Er behauptet zu Recht, nicht gegen „sein Volk“ zu kämpfen, wenn er nur seinen eigenen alawitischen Volksstamm meint. Das Regime wird auch von anderen Stämmen gestützt. Die Christen standen voll auf seiner Seite, halten sich heute eher bedeckt. Drusen, Kurden und andere blieben neutral. Eine kurdische Autonomie im Norden irritiert vor allem die Türken.
Verbündete Assads sind die schiitische Hisbollah aus dem Libanon und dem Iran. Wobei Letzterer Assad offenbar mit Waffen und gut trainierten Revolutionsgarden unterstützt. Die wichtigsten Gegner Assads sind untereinander zerstrittene Sunniten jeder Couleur, von Säkularen bis hin zu Moslembrüdern und vielleicht auch Mitgliedern des Terrornetzwerkes „Al-Qaida“.
Die Vorgänge in Syrien sind längst keine interne Angelegenheit mehr. Um den NATO-Partner Türkei zu schützen, nachdem ein paar Granaten aus Syrien auf türkischem Boden eingeschlagen sind, schickte die deutsche Bundeswehr Patriotraketen. Der südliche Nachbar Syriens, Jordanien, hat die USA gebeten, jetzt ebenfalls Patriotraketen entlang der Grenze zu Syrien aufzustellen.

Westen eher untätig

Während der Westen in Libyen mit Truppen und Luftangriffen den Rebellen geholfen hat, Muammar Gaddafi zu stürzen, fällt bei Syrien eine bemerkenswerte Untätigkeit auf. Anderswo werden Attacken auf Nachbarländer als Kriegsgrund gesehen und rechtfertigen fremdes Eingreifen. Syrien hat das libanesische Dorf Hermel bombardiert, Menschen in der Türkei getötet und tödliche Schüsse auf jordanische Soldaten abgegeben. Schüsse und Granaten in Richtung israelisch kontrolliertem Territorium führten nur zu Beschwerden bei der UNO und Erwiderungsfeuer auf die syrischen Stellungen.

Mehrere Staaten sind passive oder aktive Mitspieler in Syrien:

Russland – Das von der „linken“ Ba‘ath-Partei regierte Syrien war treuer Verbündeter der Sowjetunion, während Ägypten 1973 rechtzeitig den Schwenk ins westliche Lager vollbrachte. So ist die syrische Armee allein mit russischen Waffen ausgerüstet. Dank des alten Bündnisses kann Russland heute noch den Hafen Tartus benutzen. Für Moskau ist das von strategischer Bedeutung, um im Mittelmeer Präsenz zeigen zu können. Ein Fall Assads könnte auch das Ende dieses Stützpunktes bedeuten.
Türkei – Premierminister Recep Tayyip Erdogan hatte bei seinen Versuchen, Führer der islamischen Welt zu werden, enge Beziehungen mit Syrien und Assad geknüpft. Es wurde sogar Visafreiheit vereinbart, was die Flüchtlinge aus Syrien jetzt nutzen. Inzwischen sind Erdogan und Assad wieder zutiefst verfeindet und beleidigen sich in Interviews gegenseitig.
Libanon – Der Zedernstaat war bis vor wenigen Jahren von Syrien nicht einmal anerkannt und wurde als Teil Syriens betrachtet. Der Libanon kann sich gegen den Strom hunderttausender Flüchtlinge nicht wehren, versucht aber, Palästinenser aus Syrien mit hohen Visagebühren fern zu halten. Die im Libanon als „Staat im Staat“ herrschende Hisbollah unterstützt Assad und erhielt über Syrien iranische Waffen, darunter geschätzte 60.000 Raketen für einen künftigen Krieg gegen Israel. Nach einem Sturz Assads droht im Libanon ein erneuter Bürgerkrieg.
Jordanien – Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien setzen das Haschemitische Königreich unter Druck. Es kam zu Aufständen in Flüchtlingslagern nahe der Grenze und zu Unruhen in Amman. Noch hält sich König Abdullah. Jordanien könnte nach einem Sturz Assads zum nächsten Ziel der Dschihadisten werden.
Irak – Bagdad verhielt sich neutral. Aber sunnitische Stämme nahe der Grenze hätten sich an Kämpfen auf Seiten der Rebellen gegen Assad beteiligt. Im Irak herrscht eine Art Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, während die Kurden im Norden eine separate Autonomie errichtet haben. Die Konflikte in Syrien werfen Schatten auf die angespannten Verhältnisse im Irak.
Iran – Teheran und Damaskus sind strategische Verbündete. Ein Sturz Assads könnte die Stabilität des Ajatollah-Regimes in Frage stellen. Deshalb leistet Teheran umfassende Hilfe an Assad und an die Hisbollah im Libanon.
Israel – Dem jüdischen Staat wurde vorgeworfen, nicht Partei bezogen und deshalb eine „Chance“ verpasst zu haben, vom „arabischen Frühling“ zu profitieren. Doch israelische Sympathiebekundungen erweisen sich als Bumerang. Wer von Israel unterstützt wird, gilt in der arabischen Welt als „Kollaborateur mit den Zionisten“. Israel tut also gut daran, zu schweigen. Fast 30 Jahre lang hielt zudem die Ruhe an den Grenzen zu Syrien und Ägypten dank des Diktators Hosni Mubarak und des Assad-Clans. Hätte Israel also jene Diktatoren oder vielleicht irgendwelche Rebellen unterstützen sollen? Jerusalem ist gut beraten, sich tunlichst nicht in die inneren Angelegenheiten seiner Nachbarn einzumischen. Noch wachen UNO-Truppen auf den Golanhöhen über die Entflechtungsabkommen von 1974. Stillschweigend hat Israel Schwerverletzten aus Syrien geholfen, ohne deren Identität mitzuteilen.
USA – Vor allem das Schicksal der chemischen und biologischen Waffen in den Arsenalen der syrischen Armee bereitet den Amerikanern (und den Israelis) große Sorge. Sie drohen mit militärischem Eingreifen, falls diese Massenvernichtungswaffen in die „falschen Hände“ fallen sollten – in die der extremistischen Rebellen oder der Hisbollah. Doch den USA wie anderen westlichen Ländern sind die Hände gebunden, aufgrund eines Vetos der Russen.

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