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Aus der Mitte entspringt eine Mauer

Auf einer neu eingeweihten Straße trennt eine Mauer israelische und palästinensische Autos. Gegner wittern Rassismus. Wer genauer hinschaut, findet ihn an anderer Stelle. Eine Analyse von Ulrich W. Sahm
Auf der Route 4370 trennt eine Mauer israelische und palästinensische Fahrzeuge

Eine neue Straße sorgt in Israel für Unmut. Denn ihre vier Spuren sind durch eine Mauer getrennt. Die eine Seite nutzen Israelis, die andere ist für Palästinenser vorgesehen. Gegner nennen sie daher „Apartheid-Straße“. Die Tageszeitung „Ha’aretz“ erklärt, worin der Stein des Anstoßes liegt: „In der Westbank gibt es viele getrennte Straßen, doch keine ist auf ihrer ganzen Länge geteilt.“

Die 3,5 Kilometer lange Straße mit der Nummer 4370 im palästinensischen A-Gebiet gab es schon immer und sie war mit einer Mauer zur israelischen Seite hin abgetrennt. Nun wurde auf der israelischen Seite die alte Patrouillenstraße entlang der Mauer in eine zweispurige Verkehrsstraße erweitert und für den allgemeinen Verkehr israelischer Fahrzeuge am 10. Januar eröffnet.

Sie verbindet die Siedlung Geva Benjamin nördlich von Jerusalem mit der Schnellstraße 1, der Hauptstrecke zwischen Jerusalem und Tel Aviv. So wurde aus zwei separaten zweispurigen Durchgangsstaßen quasi eine vierspurige Autobahn mit einer hohen Mauer auf dem Mittelstreifen. Dennoch ist es keine echte Autobahn, da auf beiden Seiten die Autos in beide Richtungen fahren. Am 22. Januar kam es zu Protesten, bei denen die Teilnehmer Plakate mit der Aufschrift „Nein zur Apartheid“ und „Nein zur Annektierung“ hochhielten.

Entwickeltes Sicherheitsbedürfnis

Dabei erfüllt die Straße mitsamt ihrer Mauer schlicht ein Sicherheitsbedürfnis, das infolge palästinensischer Terroranschläge aufgekommen ist. Bis 1989 waren alle Straßen offen und für Israelis wie Palästinenser frei benutzbar. Es gab bis dahin keine Beschränkungen für Israelis, auf dem Markt von Gaza billiges Gemüse einzukaufen oder im Westjordanland ihre Autos zu günstigen Preisen reparieren zu lassen. Genauso konnten Palästinenser mit ihren Autos in Tel Aviv den Strand besuchen.

Das alles endete Schritt für Schritt mit schweren Terroranschlägen im ganzen Land: Palästinensische Selbstmordattentäter sprengten sich in Bussen und Restaurants in die Luft oder verübten mit Schusswaffen Massenmorde an der israelischen Bevölkerung.

Gegen den ursprünglichen Willen der israelischen Regierung wurde dann 2003 wegen Druck aus der Bevölkerung beschlossen, eine Grenzanlage zu errichten, um den freien Zugang von Terroristen nach Israel zu unterbinden. So entstand eine mehr als 700 Kilometer lange „Mauer“, die zu mehr als 90 Prozent aus einem Zaun mit Patrouillenstraße, Stacheldraht, Gräben und viel Elektronik besteht. Nur dort, wo palästinensische und israelische Häuser dicht beieinanderstehen – wie etwa an der Grenze zwischen Bethlehem und Jerusalem –, wurde als physisches Hindernis tatsächlich eine acht Meter hohe Mauer errichtet.

Hinter dieser Maßnahme steckt die Philosophie, Palästinenser zu zwingen, auf dem Weg nach Israel einen Kontrollpunkt zu passieren. Dort können Sicherheitskräfte die Palästinenser nach Waffen durchsuchen und Eintrittsgenehmigungen kontrollieren. Auf diese Weise kommen täglich etwa 100.000 Palästinenser mit Magnetkarten zu ihrem Arbeitsplatz nach Israel, nachdem mitgeführte Taschen und Mäntel durchleuchtet worden sind – ähnlich wie auf jedem deutschen Flughafen nach Vorzeigen der Bordkarte, einer Sicherheitskontrolle und schließlich der Passkontrolle.

Maßnahme mit Nebeneffekt

Obgleich jeder Palästinenser mit den entsprechenden Papieren jederzeit zu Fuß nach Israel wechseln kann, wurde wegen Bombengefahr ab Ausbruch der „2. Intifada“ im Herbst 2000 beschlossen, palästinensischen Fahrzeugen nicht mehr die Einfahrt nach Israel zu erlauben. Die Autos sind anhand ihrer weißen, grünen oder roten Nummernschilder mit arabischen Lettern und einem „P“ leicht zu erkennen. Israelische Nummernschilder sind hingegen gelb und haben schwarze Nummern.

Die Maßnahmen waren vor allem für jene Palästinenser problematisch, die von Bethlehem oder Hebron nach Ramallah oder Nablus fahren wollten. Bis dahin hatten sie die uralte Straße quer durch Jerusalem genutzt. Seitdem müssen sie sich durch enge und kurvige Nebenstraßen in den Bergen südlich von Jerusalem quälen. Diese können sie ohne weitere Kontrollen passieren.

Kampf gegen den Stau

Um den elenden Staus in und um Jerusalem zu begegnen, hatte die Stadtverwaltung beschlossen, die Patrouillenstraße auf der israelischen Seite zu erweitern und für zivile israelische Fahrzeuge zu öffnen. Bei der feierlichen Einweihung dieser neuen Straßenverbindung waren auch Araber, Muslime und der Verkehrsminister zugegen. Sie alle begrüßten das Vorhaben. Auf der israelischen Straße kann jeder mit einem gelben Nummernschild fahren, ob Muslim, Jude, Christ oder Araber aus Israel und Jerusalem. Von Apartheid oder Rassentrennung kann also keine Rede sein.

„Apartheid“ gibt es bestenfalls in den palästinensischen Gebieten: Nachdem in Ramallah, Bethlehem, Hebron und an anderen Orten speziell Juden ermordet wurden, die sich mit ihren Autos dorthin verirrt hatten, hat das israelische Militär ein striktes Verbot für Israelis erlassen, weiterhin mit ihren Autos in die Autonomiegebiete zu fahren.

Nun gibt es im Westjordanland zahlreiche offene Straßen ohne israelische Kontrollen, damit Palästinenser da ungehindert verkehren können. Die Militärs haben daher an den frei passierbaren Straßen in als „gefährlich“ empfundenen arabischen Ortschaften und Städten große rote Warnschilder errichtet. So werden Autofahrer auf Arabisch, Hebräisch und Englisch gewarnt, dass es Israelis „verboten“ sei, in die sogenannte A–Zone zu fahren. Doch oft ignorieren arabische Israelis, Touristen und auch jüdische Israelis dieses Verbot.

Mit Warnschildern ist der Übergang in die A-Zone des Westjordanlandes zu gekennzeichnet Foto: Israelnetz/Dana Nowak
Mit Warnschildern ist der Übergang in die A-Zone des Westjordanlandes zu gekennzeichnet

Innovative Passiermethoden

Bei der Straße 4370 handelt es sich also höchstens um eine „Nummernschild-Apartheid“. Denn jeder Araber, der eine Erlaubnis hat, kann zum Beispiel im Bus nach Jerusalem fahren. Nur darf er das nicht mit seinem eigenen Auto. Palästinensische Politiker auf dem Weg zu Gesprächen in Jerusalem verfügen offenbar über gelbe israelische Nummernschilder: Vor der Fahrt wechseln sie die Nummernschilder aus. Dafür gibt es allerdings keinen Beleg, sondern nur eine eigene Beobachtung an einem Checkpoint. Seit 2015 wurde einigen Palästinensern, darunter Ärzten, wieder erlaubt, mit ihren eigenen Autos (mit palästinensischem Nummernschild) nach Israel einzureisen.

Eine andere Methode hat man für die auch in Israel sehr begehrten Steinprodukte aus Bethlehem gefunden. Am Steuer sitzen israelische Araber oder Palästinenser, meist älteren Jahrgangs, und Familienväter, die von den Israelis als „zuverlässig“ eingestuft worden sind. Sie steuern ihre LKW mit israelischen Nummernschildern durch die Kontrollpunkte, ohne ihre tonnenschwere Ladung umladen zu müssen. So sind am Straßenrand des Industriegebiets von Bethlehem auffällig viele Lastwagen mit gelben israelischen Nummernschildern zu beobachten.

Von: Ulrich W. Sahm

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