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Regierung im Stresstest-Modus

Mehre Gesetzesinitiativen spalten Israels Koalitionsparteien. Vor allem der Streit um die Wehrpflicht für Ultra-Orthodoxe könnte der Regierung gefährlich werden. Premierminister Netanjahu selbst sitzt hingegen fest im Sattel – mehr oder weniger. Eine Analyse von Sandro Serafin
Von mehreren Seiten in Bedrängnis: Benjamin Netanjahu

Es läuft innenpolitisch derzeit einfach nicht rund für Benjamin Netanjahu: Da sind die mannigfaltigen Korruptionsvorwürfe, die seit geraumer Zeit wie ein Schatten über dem Amtshandeln des israelischen Premiers und seiner Frau Sara liegen. Da ist der Streit um die Wehrpflicht für Ultra-Orthodoxe, der die Regierung abermals zu zerlegen droht. Da ist die Uneinigkeit über die Einrichtung eines gemischten Gebetsbereichs an der Klagemauer.

Und jetzt auch noch das: Am Dienstag meldete sich Staatspräsident Reuven Rivlin zu Wort und attestierte der Regierung, Maßnahmen zu ergreifen, die „dem jüdischen Volk, Juden in der ganzen Welt und dem Staat Israel Schaden zufügen könnten“. In vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Äußerungen. Rivlin ist Mitglied der von Netanjahu geführten Likud-Partei und hat sich als Staatspräsident – ähnlich dem deutschen Bundespräsidenten – eigentlich nicht in tagesaktuelle Entscheidungen einzumischen.

Aber worum geht es überhaupt? Kurz vor der Sommerpause der Knesset will Netanjahu noch ein Gesetz durchs Parlament bringen, das er wiederholt als „sehr wichtig“ für ihn und seine Partei bezeichnet hat: das sogenannte Nationalstaatsgesetz. Das seit 2011 in verschiedenen Versionen diskutierte Gesetz sieht vor, Israels jüdischen Charakter in der Quasi-Verfassung des Staates, den sogenannten „Grundgesetzen“, dauerhaft festzuhalten – Israel als „nationale Heimstätte des jüdischen Volkes“.

Netanjahu von mehreren Seiten unter Druck

Die Novelle will unter anderem Hebräisch als einzige Amtssprache festlegen, indem Arabisch soll einen noch nicht näher definierten „besonderen Status“ erhalten. Zudem soll Jerusalem als Hauptstadt Israels festgeschrieben und der jüdische Kalender sowie jüdische Feiertage offiziell festgehalten werden.

Aber die Kritik entzündet sich in erster Linie an einem anderen Punkt: Laut dem Nationalstaatsgesetz sollen Kommunen künftig das Recht haben, Menschen unter Verweis auf ihren Glauben oder ihre Nationalität nicht als Bürger aufzunehmen und so homogene, „separate Siedlungen“ zu schaffen. Rivlin nannte das nun „Diskriminierung“. Die Formulierungen gingen zu weit, seien nicht ausbalanciert und legten die Axt an „empfindliche Prinzipien der Verfassung“, schrieb der Präsident in einem Brief an Knessetmitglieder und den Premier. Ersten Medienberichten zufolge denkt der Likud bereits darüber nach, die entsprechende Passage zu streichen.

Unterdessen regte sich auch bei einem von Netanjahus Koalitionspartnern, der Siedlerpartei HaBeit HaJehudi, Widerstand gegen den Gesetzesentwurf. Der Partei von Naftali Bennett geht der Vorschlag in Teilen nicht weit genug, wie israelische Medien berichteten. Sie möchte, dass das Gesetz der jüdischen Rechtslehre einen größeren Stellenwert im israelischen Rechtssystem einräumt. Eine entsprechende Passage war zuvor insbesondere auf Druck der säkularen Koalitionspartei Israel Beiteinu aus dem Entwurf gestrichen worden.

Netanjahu kennt das Gefühl, von zwei Seiten unter Druck zu stehen, nur allzu gut. Denn auch der Streit um die Wehrpflicht für Ultra-Orthodoxe hängt weiterhin wie ein Damokles-Schwert über der Regierung.

Streitpunkt Wehrpflicht für Haredim

Im vergangenen September hatte der Oberste Gerichtshof ein Gesetz, das ultra-orthodoxe Juden vom Wehrdienst befreit, für ungültig erklärt. Es widerspreche dem Prinzip der Gleichbehandlung, begründeten die Richter, die vielen konservativen Israelis als zu liberal gelten, damals ihre Entscheidung.

Sie gewährten der Regierung ein Jahr Zeit, um eine neue Regelung zu finden. Ein eigens eingesetztes Komitee erarbeitete seitdem einen Vorschlag, den die Regierung nun durchs Parlament bringen will. Er sieht vor, dass noch in diesem Jahr 3.348 Ultra-Orthodoxe in der Armee beschäftigt sind. Ab 2019 soll diese Zahl jährlich um fünf bis acht Prozent steigen. Wenn die Zahlen bis 2020 nicht zu mindestens 95 Prozent erfüllt sind, soll der Staat ultra-orthodoxen Toraschulen Fördergelder entziehen.

Während der säkularen Verteidigungsminister Avigdor Lieberman den Plan als „haltbar und realistisch“ ansieht, proben die Ultra-Orthodoxen, in der Regierung durch die Parteien Schass und Vereinigtes Torajudentum vertreten, den Aufstand. Vor allem letztere droht mit einem Regierungsbruch, sollte das Gesetz in seiner jetzigen Form durch die Knesset gehen. Vermutlich bemüht sich Netanjahu derzeit um eine Fristenverlängerung beim Obersten Gericht, um eine gesichtswahrende Lösung für alle erarbeiten zu können. Die nächsten regulären Wahlen stehen erst im November 2019 an.

Schwache Opposition

Für die Opposition könnten die Streitereien eigentlich ein gefundenes Fressen sein. Doch von geeintem Auftreten kann keine Rede sein. Die liberale Partei Jesch Atid von Netanjahu-Rivale Jair Lapid stimmte in der Knesset in erster Lesung für den Wehrpflicht-Gesetzesentwurf und besorgte der Regierung damit die Mehrheit, die sie aufgrund des Ausscherens der Ultra-Orthodoxen eigentlich gar nicht hatte. Von der linken Zionistischen Union und der Linksaußen-Partei Meretz brachte ihr das den Vorwurf ein, „quasi Teil der Regierung geworden zu sein“. Via Twitter tauschten die Oppositionspolitiker untereinander heftige Wortgefechte aus.

Eine Gefahr für die Regierung ist die Opposition wohl auch deshalb derzeit nicht. Laut Umfragen könnten Neuwahlen Netanjahu aktuell in keinster Weise gefährlich werden. Die Sicherheitspolitik des Regierungschefs und sein guter Draht zu US-Präsident Donald Trump kommen in der Bevölkerung offenbar an. Wenn, ja wenn da nicht die Korruptionsermittlungen wären. Am Dienstag wurde der Regierungschef bereits zum zehnten Mal von polizeilichen Ermittlern in die Mangel genommen. Eine Anklage durch den Generalstaatsanwalt auch nur in einem der drei Fälle, in denen Netanjahu direkt involviert ist, würde er politisch wohl nicht überleben.

Von: Sandro Serafin

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