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„Dritte Intifada“ oder Terrorwelle?

Die derzeitige Gewalt gegen Israelis erhält unterschiedliche Bezeichnungen – je nachdem, welchem Lager jemand angehört, und welche Ziele er verfolgt. Eine Analyse von Ulrich W. Sahm
Wie man die neue Welle der Gewalt auch nennen mag – die Lage in Jerusalem ist angespannt
Der 19 Jahre alte Jurastudent Muhannad Halabi veröffentlichte auf Facebook: „Die dritte Intifada hat begonnen.“ Wenige Stunden später erstach er in der Altstadt Jerusalems zwei Rabbiner. Er verletzte eine Frau und schoss mit der Pistole von einem seiner Opfer deren Kleinkind ins Bein, ehe er selber getötet wurde. „In zwei Stunden werde ich eine Schahida (Märtyrerin) sein. Liebe Mama, bitte weine nicht“, schrieb die 18 Jahre alte Schuruk Dwajjat aus dem Jerusalemer Viertel Zur Bacher ebenfalls auf Facebook. Sie packte zwei Küchenmesser in ihre Tasche, fuhr in die Altstadt und stach einen 36 Jahre alten Juden nieder, ehe sie von Polizisten erschossen wurden.

Bezeichnungen haben politisches Gewicht

Wegen der „Behauptung“ des mordenden Jurastudenten debattieren vor allem Auslandsmedien, ob tatsächlich schon eine 3. Intifada ausgebrochen sei. Man kann das als Wortklauberei abtun. Palästinenser reden von „legitimem Widerstand“ gegen die Besatzung und verüben individuelle Anschläge, ohne von palästinensischen Organisationen wie Hamas, Islamischer Dschihad oder der Fatah-Partei mit ihren „bewaffneten Armen“ angeleitet und finanziert zu sein. Die Israelis haben unterschiedliche Bezeichnungen für die derzeitige „Terrorwelle“. Rechte Politiker reden gerne von einer Intifada, um politisch wie militärisch gegen die Autonomiebehörde oder die Hamas im Gazastreifen vorzugehen. „Wer eine 3. Intifada entfacht, erhält eine 2. Operation Schutzschild“, warnen diese Politiker. Sie meinen den von Ariel Scharon 2002 beschlossenen militärischen Einmarsch in die palästinensischen Städte im Westjordanland. Diese „Operation“ sollte hunderten Palästinensern das Leben kosten, nachdem in den ersten Monaten des Jahres 2002 Hunderte Israelis umgebracht worden waren. Die Israelis verwenden offiziell unterschiedliche Begriffe für die jetzige Welle der Gewalt. Steinwürfe werden als „öffentliche Ruhestörung“ verniedlicht. Anschläge werden als „Terror von einsamen Wölfen“ bezeichnet. Israelische Militärs und Sicherheitskräfte vermeiden tunlichst das Wort „Intifada“. Einzelne Terroranschläge habe es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben, mit Bulldozern, mit Äxten bei Angriffen auf Synagogen, „Überfahranschläge“ mit dem Auto und vieles mehr. Der jetzige Zustand unterscheide sich bestenfalls in der Häufigkeit der Attentate.

Die Definition von „Intifada“

Die erste Intifada war ein populärer spontaner Aufstand, zunächst gegen die im tunesischen Exil sitzende PLO-Führung. Die Wut, ausgelöst durch einen Autounfall im Dezember 1987, entlud sich vor allem mit Steinwürfen gegen Israelis. Die zweite „Al-Aksa-Intifada“ brach Ende September 2000 aus, nachdem im Juli der Camp-David-Gipfel zur Beilegung des Konflikts an einer totalen Verweigerung Jasser Arafats gescheitert war. Schon ab Mai 2000 hatte die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) einen „bewaffneten Aufstand“ vorbereitet und angekündigt. Es folgte ein extrem blutiger „Krieg“ gegen Israel, bei dem Selbstmordattentate eine Hauptwaffe waren. Dieser Aufstand unterschied sich von der ersten Intifada dadurch, dass die großen Parteien, Hamas und Fatah, sowie palästinensische Führer wie Arafat persönlich den blutigen Kampf lenkten und finanzierten.

Die Bedeutung von „Terrorwelle“

Bei der jetzigen Terrorwelle handelt es sich weder um einen populären Aufstand der gesamten palästinensischen Bevölkerung, noch um einen von oben gelenkten Krieg. Vielmehr schlagen überwiegend Einzeltäter zu, meist junge Palästinenser, die zwischen 18 und 20 Jahre alt oder jünger sind. Ohne die Eltern zu fragen, gehen sie auf die Straße, werfen Steine, provozieren israelische Sicherheitskräfte und betrachten es als Heldentum, dabei getötet zu werden. Gute Beispiele dafür sind die beiden eingangs zitierten Jugendlichen. Ihre Motive entspringen einer Gehirnwäsche von Islamisten oder der palästinensischen Führung. Dazu gehört das Gerücht, wonach Israel plane, die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem zu zerstören, um dort einen „Dritten Tempel“ zu errichten. Bemerkenswert ist hier, dass mit solchen Motiven schon 1929 der später mit Hitler verbündete Mufti Hadsch el-Amin el-Husseini blutige Pogrome gegen Juden in Jerusalem, Hebron, Saffed und anderswo ausgelöst hat. Es ist kein Zufall, dass Jasser Arafat mit dem gleichen Motiv den bewaffneten Aufstand ab September 2000 anfeuerte und von einer „Al-Aksa-Intifada“ sprach. Auch jetzt beflügelt dieses emotional-religiöse Motiv die Jugendlichen, ohne Organisation blindlings Juden zu erstechen, um mit „Allah ist der Größte“-Rufen vermeintlich die Al-Aksa-Moschee zu retten.

Israelische Ratlosigkeit

Auch wenn jüdische Israelis Angst empfinden, beim Gang zum Supermarkt oder auf dem Weg zur Klagemauer plötzlich mit einem Messer ermordet zu werden, fragt sich, ob das schon eine „Intifada“ ist. Israels Sicherheitskräfte tun sich schwer, diese „Terrorwelle“ effektiv zu bekämpfen, weil es sich meist um Einzeltäter handelt. Entsprechend zeugen die beschlossenen Gegenmaßnahmen Israels von gewisser Ratlosigkeit. Sie werden selbstverständlich scharf kritisiert von Sympathisanten jeglichen Widerstandes gegen Israel. So soll der Bau von Umgehungsstraßen im Westjordanland Friktionen zwischen Palästinensern und Israelis mindern. Doch die Organistation „Frieden Jetzt“ beklagt, dass deswegen palästinensisches Privatland enteignet werden könnte. Zur Abschreckung sollen Wohnungen und Häuser der Attentäter versiegelt oder gesprengt werden. Pro-palästinensische israelische Friedensaktivisten rufen schon zu Demonstrationen auf, um die Angehörigen der Attentäter zu schützen. Als effektiv und lebensrettend hat sich bereits der Beschluss erwiesen, Abgängern von Kampfeinheiten der Armee und Sicherheitsleuten zu erlauben, auch in ihrer Freizeit Schusswaffen zu tragen. Die israelische Friedensorganisation „Betzelem“ sieht darin die Entstehung eines „wilden Westens“, während im Gleichzug Palästinenser fordern, sich genauso bewaffnen zu dürfen. Sie wollen sich vor „Siedlern“, etwa auf dem Jerusalemer Tempelberg, schützen, wobei die Muslime sogar japanische Touristen als „Siedler“ bezeichnen. Klar ist, dass beide Seiten sich nicht einmal auf einen Namen für die seit Jahren andauernde Terrorwelle einigen können. Und genauso umstritten sind jegliche Gegenmaßnahmen, wobei die Kritiker meist keine Alternativen anbieten, außer einem völligen, bedingungslosen Abzug einer halben Million Israelis aus jeglichen besetzten Gebieten, inklusive Ostjerusalems, und der Errichtung eines Palästinensischen Staates. Doch selbst stille Befürworter einer derartigen Radikallösung ohne Verhandlungen und ohne entsprechende Sicherheitsabkommen wissen, dass das nur ein Rezept für den nächsten großen Krieg in Nahost sein würde.

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