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Westliche Hoffnungen, östliche Realitäten

Seit Unterzeichnung des Atomabkommens zwischen den fünf Vetomächten im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland und dem Iran spekulieren westliche Medien über eine Kehrtwende, vielleicht sogar Mäßigung des Mullah-Regimes in Teheran. Aber „Ent-Täuschungen“ scheinen momentan wahrscheinlicher, als dass sich diese Hoffnungen realisieren. Eine Analyse von Mohammad Razi
Finden die westliche und die östliche Welt einen Weg zueinander?
Nach wie vor setzen Europa und Amerika große Hoffnungen auf angebliche Reformisten und moderate Kräfte im Iran. Seit fast vier Jahrzehnten sollen solche Kräfte innerhalb des Regimes irgendwann dessen Öffnung und Reformierung bewirken. Doch bislang haben sich Hoffnungen auf ein „gemäßigtes islamistisches Regime“ immer als Illusionen erwiesen und nichts deutet darauf hin, dass das in naher Zukunft anders wird. Selbst während der Präsidentschaft von Mohammad Chatami, der viel reformfreudiger war als der amtierende Präsident Hassan Rohani und in den Jahren 2000 bis 2004 gar Teile des iranischen Parlaments hinter sich wusste, hat es weder in der Innen- noch in der Außenpolitik echte Reformen gegeben. Selbst die so genannten Reformisten sind nicht willens, das Grundgesetz der Islamischen Republik, das auf einer konservativem Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, nach schiitischer Fasson basiert, in Frage zu stellen. Doch genau hier liegt die Ursache für ungeheure Menschenrechtsverletzungen. Zweitens will keiner die Eckpunkte der iranischen Außenpolitik revidieren. Dazu gehört etwa die massiv vorangetriebene Expansion des schiitischen Einflussbereichs, durch das Engagement im Süden der Arabischen Halbinsel, im Irak und Syrien und das Sponsoring von Terror-Organisationen wie der Hisbollah im Libanon oder der Hamas und des Islamischen Dschihad in den Palästinensergebieten.

Krankhafte Feindseligkeit gegenüber Israel als Eckpunkt der Politik

Ein weiterer Eckpunkt der Außenpolitik des Iran ist die krankhafte Feindseligkeit gegenüber dem jüdischen Staat Israel, der seit Tag Eins der Machtergreifung der Mullahs bis in die Gegenwart hinein offen mit der Auslöschung bedroht wird. Antisemitismus und die Leugnung des Holocaust sind in der Öffentlichkeit des Iran genauso allgegenwärtig wie die antiamerikanischen Parolen in den Medien, auf religiösen und politischen Veranstaltungen. Auch wenn einige Reformer diese Maximen ablehnen sollten, hätten sie gegenwärtig doch keine reelle innenpolitische Macht, um sich gegen Hardliner, Revolutionsgardisten, den Wächterrat und den Obersten Führer, Ali Chamenei, durchzusetzen. Nichts deutet darauf hin, dass sich mittelfristig im Iran unter der Herrschaft des schiitischen Klerus und der mächtigen Revolutionsgarde etwas ändern könnte. Daran ändert auch das Interesse an einer Belebung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen nichts. Was aber sind die Beweggründe der Machthaber in Teheran, sich auf Verhandlungen mit dem Westen einzulassen? Selbstverständlich dürfen 45 Prozent Inflation und 30 Prozent Arbeitslosigkeit in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden. Man will die Aufhebung der Sanktionen und eine Ankurbelung der Wirtschaft, die sich in einer katastrophalen Lage befindet.

Iran beobachtet, wie Europa sich dem Islam anpasst

Entscheidender dürfte aber noch sein, dass Teheran die Zeichen einer Veränderung in den westeuropäischen Gesellschaften seit längerer Zeit nicht entgangen sind. Die listigen Mullahs beobachten aufmerksam, wie die EU gegenüber dem politischen Islam eine Appeasement-Politik verfolgt und Schritt für Schritt in die Tat umsetzt. Auf keinen Fall will man in Teheran die Chance verpassen, mittel- und langfristig ein gutes Stück vom Kuchen der islamfreundlichen Politik der EU abzubekommen. Ganz offen hat die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, bereits in der Abschlussarbeit ihrer Studien an der Universität Sapinza in Rom zum Thema „Islam und Politik“ eine Öffnung der europäischen Politik für den politischen Islam befürwortet. Dies mag eine Erklärung für die Nachgiebigkeit dieser Politikerin gegenüber dem iranischen Regime sein, die ihre politische Laufbahn als Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens begonnen hat und in den nächsten Tagen wieder nach Teheran reisen wird. Teheran beobachtet, wie die britische Labour Party mit Hamas und Muslimbruderschaft kokettiert; wie Grüne und Sozialdemokraten in Deutschland eine Zusammenlegung von christlichen und muslimischen Gottesdiensten fordern; wie die offen antisemitische BDS-Bewegung an den Hochschulen Großbritanniens einen Boykott israelischer Akademiker durchsetzt und Europas Parlamente nacheinander einen noch nicht einmal offiziell gegründeten Staat „Palästina“ anerkennen, während eine neuartige und gefährliche Mischung aus islamischem Judenhass und europäischem Antisemitismus Juden in Frankreich, Belgien, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Dänemark zunehmend in Angst und Schrecken versetzt. Die Länder rund um den Persischen Golf sind reiche Länder, auch der Iran. Die EU ist auf sie kommerziell angewiesen, sowohl als lukrative Absatzmärkte als auch als potentielle Investoren und Geldgeber. Anscheinend denken Europas Politiker nur an kurzfristige Profite. Dabei fällt völlig unter den Tisch, dass sie durch ihre „Political Correctness“ und ihre Appeasement-Haltung die Islamisten in der arabischen und islamischen Welt ermutigen, sich weiter zu radikalisieren. In den von Oben gelenkten Massenmedien der Islamischen Republik Iran wird seit Langem über ein „islamisiertes Europa“ und den „Aufmarsch des Islam in Europa“ berichtet und diskutiert. Wenn man dann auch noch demografische Entwicklungen in den Gesellschaften Europas in Betracht zieht, kann man sich der Schlussfolgerung nicht entziehen, dass die Mächtigen im Iran mit ihren Prognosen und Erwartungen bezüglich der politischen Zukunft Europas nicht wirklich falsch liegen. (mr)

Der Verfasser, Mohammad Razi, wurde 1979 in Teheran geboren und hat Agrar- und Umweltwissenschaften studiert. Er lebt heute im Exil, arbeitet als Verkäufer und beobachtet das Zeitgeschehen in Nahost.

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