Suche
Close this search box.

Analyse: Geburtswehen zur 20. Knesset

Am 17. März muss sich der israelische Wähler entscheiden, wer ihn in den kommenden Jahren vertreten soll. Spannend ist, wer den Sprung in die traditionell zersplitterte Knesset schafft. Bislang war eine Zwei-Prozent-Hürde zu meistern. Jetzt muss eine Partei erstmals 3,25 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen, um ins Parlament einziehen zu können.
Im Wahlkampf zeigen sich viele hochrangige Politiker mit ihrem Gefolge auf den Straßen, wie der Likud-Politiker Israel Katz hier in Jerusalem.
Eine Sensation wäre, wenn der amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu abgewählt würde. Fraglich ist, ob sich an der Politik Israels dadurch tatsächlich etwas ändern würde. An echten Alternativen zu Netanjahu fehlt es ganz offensichtlich. Deshalb scheint es in Israels jüngstem Wahlkampf vor allem darum zu gehen, den amtierenden Premier zu diskreditieren, zu zeigen, was er falsch gemacht hat, was ihm fehlt. Der Krieg gegen die Hamas im vergangenen Sommer muss dazu genauso herhalten, wie die Sicherheitslage im Allgemeinen und die sozialen Missstände im Besonderen. Doch der Likud lässt sich nichts schenken. Und so werden die Werbespots immer unsachlicher, zielen immer weiter unter die politische Gürtellinie. „Herr Stürmer“ [sic auf Hebräisch!] meldet sich zu Wort und ebenso der altbekannte Jude mit der riesigen Hakennase, der für Euros alles macht – das heißt, heute verkauft er sich und sein Volk an die Interessen der Europäer. In einem Werbespot fragen Kämpfer der Terror-Organisation „Islamischer Staat“ (IS): „Wo geht’s hier nach Jerusalem?“ Die schnoddrige Antwort: „Links!“ – Als seien sich Israelis uneins, wenn es um Islamisten geht, oder der Erfolgszug radikaler Muslime ein Wahlkampfthema.

„Qualkampf“ oder „Wahlkrampf“?

Das dumpfe Gefühl, dass es bei alledem schon längst nicht mehr um Inhalte sondern nur noch um Schlammschlachten mit Hoffnung auf Stimmenfang geht, lässt sich nicht abschütteln. Da wird heiß diskutiert, was mit dem Pfand für die Flaschen passiert ist, die Frau Netanjahu nach den Empfängen ihres Mannes hat beseitigen lassen. Oder wieviel Pistazieneis ein Premierminister mit seinen Gästen auf Kosten des Steuerzahlers essen darf. Und, ach ja, was es wohl zu bedeuten hat, wenn der Vorzeigerabbi der erklärt säkularen Partei „Jesch Atid“ nach einem massiven Verlust an Körpergewicht mit engen Jeans in seiner grenzwertig luxuriösen Wohnung zum Fotoshooting posiert. Dem „Heiligen Land“ eher angemessen ist vielleicht, wenn der im Oktober 2013 verstorbene Rabbi Ovadia Josef einem seiner Anhänger im Traum erscheint, um demjenigen Fürsprache im Himmel zu versprechen, der die orthodox-sephardische Schass-Partei wählt. Dass seine Nachfolger sich aus Anlass des Wahlkampfs gespalten haben, deshalb vielleicht gar an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern werden und derartige Wahlversprechen im Staate Israel überhaupt illegal sind, muss der Überrabbi aus himmlischer Perspektive völlig übersehen haben. Für den, der letztendlich die Qual der Wahl hat, bleibt im Vorfeld des Urnengangs die Frage: Ist das nun „Qualkampf“ oder „Wahlkrampf“? Ernstzunehmender „Wahlkampf“ ist es jedenfalls schon lange nicht mehr. Mitte Februar meldet sich nach langem Schweigen endlich der Vater dieses Polit-Kindergartens zu Wort: Reuven Rivlin. Nicht ganz zu Unrecht fordert der Staatspräsident die Kandidaten auf, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Auf die Wirtschaft, die Stellung der Minderheiten, die Sicherheit, den Konflikt mit den Palästinensern. Israels Öffentlichkeit sehne sich nach einer Vision und Hoffnung, mahnt Rivlin und: Die Israelis „wollen Lösungen hören. Sie wünschen eine Führung, deren Motivation Inhalten und Werten entspringt und die in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen“ Problematisch für die Wahlkämpfer ist, dass man sich in wesentlichen Fragen weitgehend einig ist – aber niemand für auch nur eine der brennenden Herausforderungen eine Lösung parat hat. Zudem haben (fast) alle Kandidaten mit ernsthaften Erfolgsaussichten in den vergangenen Jahren, wenn nicht Monaten, bereits verantwortliche Positionen bekleidet und hätten somit eine Möglichkeit gehabt, die Wirksamkeit ihrer Rezepte unter Beweis zu stellen. Im täglichen Leben bewegen den israelischen Wähler vor allem wirtschaftliche Fragen. Man ist sich allseits einig, dass die Lebenshaltungskosten in Israel unverschämt hoch sind und die Kluft zwischen Arm und Reich kleiner werden muss. Auch die unendlichen Wartezeiten im Krankenhaus sind eine Frage des Geldes. Klar ist allen, dass mehr Sozialstaat finanziert werden will und man momentan alles daransetzen muss, Investoren nicht zu verlieren. Keiner will, dass die gut ausgebildete junge Intelligenz abwandert und niemand weiß, wie man angesichts des rings um Israel tobenden Krieges den Verteidigungshaushalt bescheidener gestalten könnte. Der hohe Kurs des Schekels sollte eigentlich Zeichen des wirtschaftlichen Erfolgs sein, macht es aber andererseits auch sehr schwer, israelische Produkte und Dienstleistungen gewinnbringend im Ausland abzusetzen. Besonders in der Tourismusindustrie ist bemerkbar, dass ein Urlaub in Israel für Europäer horrende Preise zu bieten hat und Alternativen attraktiv sind. Es gibt niemanden im jüdischen Staat, der auf ein Recht der Mullahs in Teheran, eine eigene Atombombe zu besitzen, pochen würde. Vielmehr wird Netanjahu von seinen linken Herausforderern vorgeworfen, in der Iranfrage versagt zu haben. Indirekt wird er dafür verantwortlich gemacht, dass die Islamische Republik praktisch „nur noch entscheiden muss, wann sie die Bombe will“. Auch in punkto Hamas ist von links der Vorwurf zu hören, Bibi sei zu nachgiebig gewesen und zu wenig hart vorgegangen. Im Blick auf die Palästinenser ist man sich durchweg einig, dass man sie loswerden will. Nur weiß keiner wie.

„Hat Herzog das Zeug zum Premierminister?“

Die sogenannte Zweistaatenlösung ist ein gutes Beispiel für das Dilemma der Israelis. Israels Präsident Rivlin hat sich vor seinem Amtsantritt, als er politisch noch ein freier Mann war, kritisch zur Zweistaatenlösung geäußert. Für Politiker wie Naftali Bennet oder Avigdor Lieberman ist Oslo gescheitert. Netanjahu scheint auch nicht gerade begeistert die Sache der Palästinenser voranzutreiben. Umso interessanter ist, wie sich der Oppositionsführer und linke Herausforderer Jitzhak Herzog zu dieser Frage positioniert. Einer vollkommenen Trennung gibt Herzog den Laufpass. Er betont die gemeinsame urbane Infrastruktur und die wirtschaftliche Verbundenheit. Wasser, Abwasser, der elektronische Raum und Epidemien müssten gemeinsam verwaltet werden. Herausforderungen durch islamistischen Terror müssten genauso gemeinsam bewältigt werden, wie Flüchtlingsströme aus Afrika. Touristen sollten sich laut Herzog frei bewegen dürfen. Dabei spricht er von einer „ungeteilten Stadtverwaltung Jerusalems“ und „vielen israelischen Siedlern, die in Palästina leben, aber israelische Staatsbürger bleiben“ würden. „Zwei Staaten“ bedeute nicht, „einen Teilungsplan, wie den von 1947, zu implementieren“. Wo bei diesen Vorstellungen die Träume der Palästinenser bleiben, darf sich jeder selbst beantworten. Tatsächlich blieb dem einzigen ernsthaften Gegenkandidaten Netanjahus und amtierenden Oppositionsführer, Jitzhak „Buschi“ Herzog, bislang die Frage erspart, ob er überhaupt in der Lage sei, Regierungschef zu werden – stellt Raviv Drucker in der linksliberalen Tageszeitung „Ha‘aretz“ fest, und bricht dann selbst dieses Tabu: „Hat Herzog das Zeug zum Premierminister?“ Er zeichnet einen erfolgreichen Politiker, der wenig prinzipientreu jedermanns Freund sein will. Jahrelang habe Herzog als Minister in den Regierungen unter Ariel Scharon, Ehud Olmert und Netanjahu gesessen, ohne auch nur einen seiner Regierungschefs jemals bemerkbar mit einer eigenen Meinung zu konfrontieren – was im diskussionsfreudigen Israel in der Tat auffällt. Der Reporter für den Fernsehsender „Kanal 10“ fragt, ob „Buschi“ Druck aushalten könne und erwähnt sein leicht hysterisch wirkendes Temperament. Er erinnert daran, wie Herzog gefragt wurde, ob er an einer Fernsehdebatte ohne Netanjahu teilnehmen werde, was der Premierministerkandidat zuerst bejahte, dann verneinte, um schließlich die Antwort zu verweigern. Der Sohn des sechsten Präsidenten des Staates Israel, Chaim Herzog, ist kein unbeschriebenes Blatt auf der politischen Bühne seines Landes. Drucker kommt zu dem Schluss: „Wer davon träumt, Herzog werde Siedler evakuieren, ein Endstatusabkommen mit den Palästinensern unterzeichnen oder eine Verfassung auf den Weg bringen, sollte aufwachen.“ „Buschi“ ist der „Ja-Aber“-Mann, der alles differenzierter sehen will, ohne jemandem wehzutun. Elegant wirft er mit Zahlen um sich und erweckt so den Eindruck akademischer Kompetenz. Er weiß genau, was „Bibi“, Bennett und Lieberman falsch machen, und dass der palästinensische Präsident Mahmud Abbas nett ist – aber leider nicht durchsetzungsfähig, wenngleich unersetzbar und ohne Alternative. Grundsätzlich ist er sich sicher: Die Lösung liegt im Kompromiss! Das alles ist europäisch tickenden Zeitgenossen sympathisch und durchaus nicht unrichtig. Aber im Nahen Osten lässt sich damit kein Staat machen, weder innen- noch außenpolitisch. Was ist zu tun, fragt Rogel Alpher in „Ha‘aretz“, wenn die Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit den Siedlungsbau unterstützt, die religiöse Identität eines jüdischen Staates stärken will und ein Abkommen mit den Palästinensern ablehnt, auch wenn das auf einen gemeinsamen Staat hinauslaufen sollte? Alpher schlussfolgert, die öffentliche Meinung in Israel sei schuld an Netanjahus jahrelanger Herrschaft und wer gegen Netanjahu sei, müsse endlich anerkennen, dass er einer verschwindenden Minderheit angehört. „Hört auf, euch selbst zu belügen!“, schreibt der Kolumnist seinen Landsleuten zu – und es ist nur schwer zu erkennen, ob sich hinter diesem Zeitungstext ein zynisch-triumphierendes Lächeln oder eine verzweifelt-sarkastische Grimasse verbirgt.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen