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„Landgrabschen“ oder bürokratische Landvermessung

Die Reaktion der Welt zur neuesten israelischen Ankündigung zur „Siedlungspolitik“ kam postwendend. Wie im Ritual protestierten Washington, UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in New York, die EU in Brüssel und das Auswärtige Amt in Berlin. Kritisiert wurde Israels „Landraub“, ein „Landgrabschen“, eine „Enteignung“ und ein „falsches Signal zur falschen Zeit“. Palästinensische Sprecher reden von einem Verbrechen.
Blick auf den Siedlungsblock Gusch Etzion

Israel hatte am 31. August 400 Hektar Land im Westjordanland zum Staatsgebiet erklärt (Israelnetz berichtete). Menschenrechtsorganisationen wie „Amnesty International“ „empörten“ sich über den „unerhörten illegalen Akt“ eines „Landgrabschens zwecks Siedlungsbau“. Mindestens fünf palästinensische Dörfer seien betroffen. Das komme einer „Kollektivbestrafung“ gleich, während Israel sich weiter von seinen Verpflichtungen gegenüber dem internationalen Recht entferne.
Auch in Israel gab es die üblichen vorhersehbaren Reaktionen, je nach politischem Standpunkt. Wirtschaftsminister Naftali Bennett sprach von einer „angemessenen zionistischen Antwort auf die Morde der Hamas“. Justizministerin Zippi Livni, Chefunterhändlerin bei den gescheiterten Friedensverhandlungen, verurteilte den „Zeitpunkt“. Die Ankündigung sei ein „vernichtender Schlag“ für die Sicherheit und das Ansehen Israels. Bei den Gesprächen habe sie stets klar gemacht, dass der Siedlungsblock Gusch Etzion auch künftig bei Israel bleiben werde. Die neueste Ankündigung habe das Gebiet in „umstrittenes Territorium“ verwandelt.
Gusch Etzion, südwestlich von Bethlehem gelegen, ist eine Ansammlung mehrerer israelischer Siedlungen. Der Siedlungsblock befindet sich auf Land, das Juden vor der Staatsgründung legal erworben hatten. Laut Teilungsplan der UNO 1947 sollte das Gebiet dem künftigen jüdischen Staat zugeschlagen werden. Aber im Unabhängigkeitskrieg 1948 wurde der Siedlungsblock von den Jordaniern überrannt. Die Bewohner wurden ermordet und eine gescheiterte Befreiungsoperation forderte viele israelische Opfer. Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 begann hier die israelische Siedlungspolitik. Überlebende kehrten in ihre zerstörten Dörfer zurück. Gusch Etzion zählt zu jenen „Siedlungsblöcken“, die nach amerikanischer Auffassung, von Ex-US-Präsident Bill Clinton bestätigt, auch nach der Errichtung eines palästinensischen Staates bei Israel bleiben sollen.
Die wortreichen Verurteilungen bezogen sich auf eine vierzeilige Verlautbarung der israelischen Militärverwaltung (COGAT). Da heißt es wörtlich auf Hebräisch: „In der Folge einer Anweisung der politischen Ebene nach Abschluss der Operation ‚Heimkehr der Söhne‘ (die Suche nach den entführten und ermordeten drei Talmudschülern im Juni) beginnt heute, am 31.8.14, der Prozess der Definition von etwa 4.000 Dunam (400 Hektar) in Gv‘aot in der Gusch Etzion Region als Staatsland. Dieser Prozess wurde möglich nach einer tiefgehenden Prüfung des Blaue-Linie-Teams der Zivilverwaltung. Eine Frist von 45 Tagen wurde für Widerspruch eingeräumt“.
Ein israelischer Sprecher meinte zu der „falschen und ungerechtfertigten“ internationalen Kritik: „Die legen sich ihre Argumente gemäß ihrer Weltanschauung zurecht und verurteilen automatisch alles, was Israel in den besetzten Gebieten tut, ohne genauer hinzuschauen.“ Der Jurist im Staatsdienst, der namentlich nicht genannt werden wollte, bot im Hintergrundgespräch eine ausführliche Erklärung.
Gusch Etzion liege im C-Gebiet des seit 1967 besetzten Westjordanlandes. Gemäß den Osloer Verträgen habe Israel in rund 60 Prozent des Westjordanlandes bis zu einem neuen Vertrag volle Verwaltungsvollmacht. Die Palästinenser beanspruchen dieses vormals von Jordanien annektierte Gebiet für ihren künftigen Staat Palästina. Es jetzt schon als „palästinensisches Gebiet“ zu bezeichnen, sei ein Vorgriff auf den Ausgang der Verhandlungen.

Es gilt Gewohnheitsrecht

Die Briten haben als Mandatsmacht bis 1948 schon vor über 50 Jahren begonnen, türkisch-osmanisches Bodenrecht „heutiger Logik“ anzupassen. „Ich habe selbst Grundbucheintragungen aus dem 19. Jahrhundert gesehen. Ein gewisser Acker reichte vom zweiten Baum links und zum dritten Felsen rechts und grenzt an den Acker von Muhammad und Ahmad. Die Bäume und Felsbrocken sind verschwunden und niemand kennt mehr Muhammad oder Ahmad“, so der Jurist. Die Briten wendeten moderne Landvermessung an, was die israelische Zivilverwaltung heute fortsetzt. Gemäß osmanischen Rechts gebe es vier Kategorien Land: Sultansland (Land im Staatsbesitz, von den Briten auch „Kronland“ genannt), Privatland, gemeinsam benutztes Land (wie Straßen) und „totes Land“ wie Wüste und Sümpfe. Nicht alles Privatland ist jemals im osmanischen „Tabu“ (Grundbuch) eingetragen worden und deshalb „ungeklärt“. Entsprechend türkischer Gesetze wird Gewohnheitsrecht respektiert.
Anhand von Schafskot und Luftaufnahmen lässt sich feststellen, ob Land benutzt und beackert worden ist. Diese Prüfungen dauern Jahre. Erst danach können „ungeklärte“ Grundstücke zu „Staatsland“ erklärt und für Raumplanung freigegeben werden. Es geht also keineswegs um eine „Enteignung“, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag behauptet hatte, und auch nicht um eine „Verstaatlichung“, wie die US-Botschafterin bei der UNO am Mittwochabend gerügt hat, sondern um Erschließung und Flächennutzungspläne, wie in jedem Staat üblich.
Um Irrtümer auszuschließen wurde eine Frist von 45 Tagen für Widerspruch möglicher Privateigentümer eingeräumt. Weder israelisches noch palästinensisches Privatland darf verplant werden. Das zeigt die wiederholte Räumung von Siedlerhäusern, die widerrechtlich auf palästinensischem Privatboden errichtet worden sind. Israelische Gerichte kennen da keine Rücksichten und verfügen mit richterlichem Befehl eine Räumung. Israel kann sich als Rechtsstaat diesen Urteilen nicht verweigern und muss Bulldozer schicken, falls die Betroffenen nicht selbst ihre auf fremdem Boden errichteten Häuser abreißen. Das trifft Siedler und Palästinenser wie Daoud Nasser, der in Deutschland eine Protestkampagne gegen die Zerstörung eines von ihm illegal bepflanzten Apfelhaines gestartet hatte.
Der bürokratische Prozess einer Umdefinition von Land in „Staatsland“ dauere „mehrere Jahre“ und habe im Gebiet von Gusch Etzion „schon ein Jahrzehnt vor der Entführung der drei Talmudschüler begonnen“, erklärte der Jurist. Zur Sicherheit, um Fehler zu vermeiden, müsse zum Abschluss auch noch der Oberstaatsanwalt seine Einwilligung geben, ehe das Land schließlich zu „Staatsland“ erklärt werden könne. Danach erst könne die Verplanung beginnen, etwa für die Errichtung von Häusern, öffentlichen Parks, Straßen oder landwirtschaftlicher Nutzung. Und selbst dann verstreiche noch viel Zeit bis zur ersten Ausschreibung und deren Umsetzung.

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