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Analyse: Arabischer Sommer

Lange wurde der Nahostkonflikt als Pulverfass mit glimmender Lunte beschrieben. Inzwischen ist die Lunte abgebrannt und das Pulverfass explodiert. Nordafrika und der Nahe Osten haben ihre Statik verloren. Die fest gefügte Ordnung der Diktaturen zerbrach durch Kriege von außen und Aufstände von innen.
Alles in Bewegung: Die Machtverhältnisse in Nahost verschieben sich.

Den Diktatoren muss niemand nachtrauern. Doch was kam danach? Mehr als zehn Jahre nach dem Golfkrieg und mehr als drei Jahre nach Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich der Orient grundlegend verändert. In Tunesien lässt sich ansatzweise ein Parteienstaat erkennen. Es herrscht relative Ruhe im Lande. In Ägypten herrscht totale Ruhe. Denn das Land ist zur Militärdiktatur zurückgekehrt – nur härter als zu Zeiten von Mubarak. Heute werden dort Todesurteile im Hunderterpack gefällt, wenn ich das so salopp sagen darf. Libyen dagegen löst sich auf. Dort toben Stammeskämpfe. Wer dauerhaft den Öl-Hahn in die Hand bekommt, wird die Macht gewinnen. Syrien wurde zum Schlachtfeld rivalisierender Gruppen von außerhalb, die Kämpfer kommen aus Somalia und Pakistan, aus dem Irak und sogar aus Deutschland. Die meisten Gruppen kämpfen gegen die Regierung Assad und für mehr oder weniger Islam und zugleich gegeneinander.
Nun macht IS Schlagzeilen. Dieser so genannte „Islamische Staat“ hat einen weiten Bogen gespannt und „Gebiete“ erobert, die von der Mitte Syriens bis weit in den Irak reichen. Überhaupt ist „Gebiete“ zum gängigen Begriff für den Orient geworden: Kurdengebiete, Sunniten-Gebiete, Palästinenser-Gebiete. Daneben: „befreite Gebiete“, „besetzte Gebiete“ und „umkämpfte Gebiete“. Allerorten gibt es Gebiete. Staaten spielen kaum noch eine Rolle. Staatsgrenzen verschwinden und sind nicht mehr maßgeblich.

Staatenordnung zerbröselt

Nicht nur klimatisch sind wir mitten im „arabischen Sommer“ angekommen. Die Eroberungen der Al-Nusra-Gruppen und IS motivieren und mobilisieren junge Männer im gesamten Nahen Osten und darüber hinaus. Eine uralte orientalische Überlebensregel schlägt durch: Man geht mit dem Sieger. So erklären sich die Erfolge überschaubarer Brigaden über reguläre gut bewaffnete Armeen in der Stärke von Hunderttausenden. Soldaten wechseln rasch die Fahne, wenn so das Leben gesichert werden kann oder sich das anderweitig lohnt. Im Sommer 2014 verschieben sich die politischen Gewichte. Eine Rückwendung zur Religion und zu Stammesordnungen gewinnt an Bedeutung. Hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg zerbröselt jene von Engländern und Franzosen geschaffene Kunstwelt mit den geraden Trennlinien. Begleitet von Blut und Tränen, Massakern und Millionen von Flüchtlingen.
Mitten in diesem Völkervulkan mit seinen religiösen Eruptionen liegt Israel. Der Staat legt Wert darauf, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein und westlichen Lebensstil zu verkörpern. Doch genau das macht Israel in den Augen islamistischer Organisationen zum idealen Feind. Vor der „Haustür“ bleiben die Palästinenser mit noch immer kampfbereiten Gruppen ein Problem. Militärisch lässt sich diese Lage sicherlich noch irgendwie beherrschen. Doch was wird aus Israel, wenn ringsum die gesamte bisherige Ordnung schwindet und zunehmend Islamisten die Feder und die Waffen führen? Mit Syrien und Libanon hat Israel Grenzen im Norden. Im Süden gibt es die offene Flanke zum Sinai. Was geschieht, wenn IS und andere Gruppen in Jordanien den Fuß auf den Boden bekommen, Land und Macht gewinnen? Das mag keiner von uns zu Ende denken, Israel wird es denken müssen und sich vorbereiten.
Am Ende bleibt für uns alle die Hoffnung, die der Psalmdichter so in Worte fasst: „Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.“ (Psalm 121,4)

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