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Licht in der Finsternis: Der Nahe Osten und die Botschaft aus Bethlehem

„Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels, Herr Peres?“ Verzweifelt sucht ein europäischer Spitzendiplomat dem Vater des Traums von einem neuen Nahen Osten den Schimmer einer Hoffnung abzuringen. Doch Shimon Peres zieht sich nüchtern aus der Schlinge. „Sehen Sie einen Tunnel?“, antwortet er typisch jüdisch mit einer Gegenfrage.

Zu oft haben Politiker in den vergangenen Jahren rosige Visionen von einem friedlichen und prosperierenden Zusammenleben von Juden und Arabern gezeichnet. Heute stehen wir vor einem einzigen, großen Scherbenhaufen. Zu oft wurden Illusionen geschürt, die sich dann in der harten Realität des Alltags als Zeitbomben entpuppt haben.

Überhöhte Erwartungen auf beiden Seiten dürften einer der Hauptgründe für das Scheitern des Frühlings von Oslo gewesen sein. Deshalb sind Realpolitiker in Israel sehr vorsichtig geworden mit großartigen Versprechungen und ziehen es vor, Schritt für Schritt durch die Finsternis von Gewalt und Leid zu tappen.

4.882 Verletzte, 687 Tote und 15.595 Anschläge haben die Israelis zwischen 29. September 2000 und 8. Dezember 2002 gezählt. Dabei wurden Steinwürfe und der Einsatz von Molotow-Cocktails (Brandbomben) gar nicht mehr mitgerechnet. Von palästinensischer Seite sind keine so genauen Zahlen verfügbar. Die Zahl der Toten und Verletzten ist allerdings jeweils ungefähr dreimal so hoch wie auf israelischer Seite.

Aber was sagen nackte Statistiken über Einzelschicksale, über die Stimmung, über die Motivation oder den Friedenswillen einer Gesellschaft? Nicht viel. Sind die fast 2.000 Toten auf palästinensischer Seite ein Resultat des rücksichtslosen Einsatzes einer hochtechnisierten Militärmaschinerie von seiten Israels, oder das Ergebnis einer gewissenlosen Gesellschaft, die selbst davor nicht zurückschreckt, die Schwächsten an die Front zu schicken? Das bleibt der Deutung des Beobachters überlassen. Tatsache bleibt jedoch, daß israelische Militärs schon aus Eigeninteresse Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung unter allen Umständen vermeiden, während palästinensische Selbstmordattentäter gezielt die breite Bevölkerung Israels angreifen.

„Von Abraham hast du einen Sohn verlangt! Warum verlangst Du von mir zwei?!“ Verzweifelt macht der Großvater von Dvir und Noy Anter aus der Stadt Ariel im Zentrum Samarias seinem Herzen Luft. Die beiden 13- und 14jährigen Brüder waren bei dem Bombenanschlag in Mombasa ums Leben gekommen. Für viele Juden ist das Resüme: An keinen Ort auf dieser Welt können wir durchatmen, uns von der ständigen Bedrohung durch den Terror erholen. Sechs weitere Israelis waren an demselben 28. November bei einem Anschlag auf ein Wahllokal in Beit Schean im Jordantal erschossen worden.

Außer der Sicherheitslage ist es aber vor allem die wirtschaftliche Notlage, die den kleinen Mann in Israel in Atem hält. Jedes vierte Kind in Israel lebt heute unter der von der UNO festgelegten Armutsgrenze. Ganze Familien wurden auf die Straße gesetzt, weil sie die Miete nicht bezahlen können. Die Arbeitslosigkeit ist ein Dauerthema in den Medien und die Lebenshaltungskosten steigen ungebremst weiter.

Auf palästinensischer Seite gibt es zwar massive Anstrengungen der UNWRA und privater Hilfsorganisationen, aber für so manche Flüchtlingsfamilie ist das tägliche Leben geprägt vom Kampf ums tägliche Brot. Wenn eine Reise von Stadt zu Stadt möglich ist, dann nur auf großen Umwegen und durch israelische Straßensperren, an denen jeder genau und oftmals demütigend überprüft wird – wenn eine Reise überhaupt möglich ist! Denn seit die israelische Armee wieder in die Palästinensische Autonomie (PA) einmarschiert ist, gehören Ausgangssperren zur Regel. Wer sich trotzdem auf die Straße wagt, riskiert zwischen die Fronten zu geraten oder von den israelischen Soldaten für einen Terroristen gehalten zu werden.

PA-Arbeitsminister Dr. Ghassan Khatib meint: „Die Realität, unter der Palästinenser heute existieren, wird von Außenstehenden nicht verstanden!“ Der Wink des Arafat-Vertrauten mit dem Zaunpfahl gilt seinen Journalisten-Kollegen. Aber der Medienexperte und ehemalige Direktor des palästinensischen „Jerusalem Media and Communications Center“ spricht nicht aus, was man als Berichterstatter von palästinensischen Freunden durchaus verbittert an den Kopf geworfen bekommt: „Ihr habt überhaupt kein Recht, über uns zu schreiben!“

Weihnachtsstimmung im Heiligen Land will unter diesen Umständen nicht aufkommen. Messianische Juden haben mit ihrem Volk Anfang Dezember bereits das Lichterfest Chanukka gefeiert, das im Neuen Testament als „Tempelweihe“ erwähnt wird. Für die jüdischen Israelis ist die Weihnachtszeit und der Jahreswechsel ganz normale Schul- und Arbeitszeit.

In den einst christlichen Hochburgen Nazareth und Bethlehem sind die Christen heute eine Minderheit. Weihnachtsschmuck ist allerdings auch Moslems recht, wenn er kaufkräftige Touristen mit sich bringt. Doch die kommen seit zwei Jahren nicht mehr. Nach langem Suchen entdecke ich in der fast menschenleeren Altstadt von Jerusalem einen einsamen Christbaum. Wie ein verzweifelter Versuch, der allgemeinen Stimmung die Stirn zu bieten, steht er vor einem Lebensmittelgeschäft.

Martin Reyer ist Propst an der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche in Jerusalems historischer Altstadt. Schon als Dekan in Stuttgart-Zuffenhausen hatte er sich um Beziehungen mit palästinensischen Christen bemüht und eine Partnerschaft mit Ramallah aufgebaut. Der schwäbische Kirchenmann ist davon überzeugt, daß nicht alle Palästinenser Terroristen sind. Er wünscht denen, die eine gewaltfreie Lösung des Konflikts suchen, aber oftmals zwischen allen Stühlen sitzen, eine echte Chance.

Seine Frau Beate stammt aus einem pietistischen Elternhaus. Ihrer Prägung entspricht, daß ein Christ aus historischen und religiösen Gründen gar keinen anderen Platz einnehmen kann, als an der Seite Israels. „50 Jahre sind keine lange Zeit für das geschichtliche Gedächtnis eines Volkes“, meint die ehemalige Lufthansa-Stewardeß im Rückblick auf das Dritte Reich und erklärt damit ihre Meinung, daß Deutsche gegenüber Israel mit guten Ratschlägen eher zurückhaltend sein sollten.

Aber nicht nur im Blick auf die deutsch-jüdische Vergangenheit, sondern auch im hautnahen Erleben des Nahostkonflikts hat die Pfarrfrau gelernt, daß Schweigen Gold sein kann. „Was ich sage, ist sowieso irrelevant“, resümiert sie nüchtern ein Jahr Pfarramt am Nabel der Welt. „Ich bin nicht klüger als die Leute hier und kann viel mehr bewirken, wenn ich den Menschen auf beiden Seiten zwei offene Ohren widme.“

Nicht Reden, sondern Sein; nicht wortgewaltig gegen die Mauer von Gewalt und Tränen anrennen, sondern in aller Stille Licht sein inmitten der Finsternis, das wünscht sich das Ehepaar Reyer für seinen Dienst in Jerusalem – und mit ihm viele Christen, die gemerkt haben, daß es nichts bringt, Ratlosigkeit und Verzweiflung in geistlich verbrämte Politparolen zu kleiden.

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell!“ (Jesaja 9,1), hatte der Prophet Jesaja einst seinem Volk zugerufen. In jeder jüdischen Bibel steht dieser Text seit Jahrtausenden. Mehr denn je entspricht die Situationsbeschreibung des Propheten der aktuellen Lage.

Auch wenn einem angesichts der Aussichtslosigkeit im Land Israel das Wort im Halse stecken bleibt, die Botschaft vom Kind in der Krippe ist brandaktuell. Gegen allen Augenschein halten wir als Christen daran fest: „Jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“ (Jesaja 9,4-5)

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