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Kommentar: „Blinde Liebe“

Vor rund vier Jahren war ich eingeladen, um in Toronto (Kanada) an einer Bar Mitzwa-Feier teilzunehmen. Unsere Freunde dort hatten Vortragstermine für mich ausgemacht – und so flog ich mit einem meiner Kollegen nach Kanada übers Wochenende.

Gut ein Jahrzehnt zuvor, hatte die Rebbetzin Gitl Rosenzweig der jüdischen Gemeinschaft Hebrons eine große Spende gemacht: Sie stiftete den „1929-Tarpart Memorialroom“ im Beit Hadassah Hebron Heritage Museum. Dieser Raum ist den 67 Juden gewidmet, die vor 73 Jahren brutal ermordet wurden. Er ist ein Muß für jeden Hebron-Besucher. Weil sie die lebenswichtige Bedeutung einer derartigen Ausstellung erkannte, stiftete die Rebbetzin Rosenzweig diesen Raum großzügig in Erinnerung an ihren verstorbenen Mann, Rabbi Shraga Feival Rosenzweig aus Kitchener (Kanada).

Seitdem hat sie jedesmal, wenn sie in Israel war, einige Stunden in Hebron verbracht. Wir lernten andere Mitglieder ihrer Familie kennen, von denen einige in Jerusalem leben und die ebenso ein großes Herz für Hebron haben.

Vor rund fünf Jahren brachte der Schwiegersohn der Rebbetzin, David Rosenzweig, eine Gruppe von Juden aus Toronto mit, die sehr wenig über Hebron wußten. Nach einer intensiven Tour durch die Erzväterstadt wurden sie glühende Anhänger einer starken jüdischen Präsenz in der Stadt Abrahams, Isaaks und Jakobs. Vor der Abreise aus Hebron erzählte mir David Rosenzweig von der bevorstehenden Bar Mitzwa seines Sohnes Ezra und lud mich dazu ein.

Ich muß gestehen, daß ich von der Party an sich nicht mehr all zu viel weiß – außer, daß sie außerordentlich fröhlich war – wie die meisten Smachot (jüdische Feste) sind. Aber ich erinnere mich an die Rede von Ezras Vater, die einen bleibenden Eindruck auf mich hinterließ. In seiner Tischrede wollte er über Erez Israel reden. Nur ein paar Tage zuvor waren zwei Juden von Terroristen ermordet worden und Ezras Vater ließ es sich nicht nehmen, über die beiden zu reden, obwohl sich die Familie aus festlichem Anlaß versammelt hatte.

Normalerweise ist es nicht üblich, bei solchen Partys über traurige Ereignisse zu sprechen. So wie wir sagen: „Es gibt eine Zeit zu lachen und es gibt eine Zeit zu weinen“. Bar Mitzwa-Partys sind eine Zeit um fröhlich zu sein und zu lachen. Aber Ezras Vater brach die Regel und sagte, wir müßten uns immer daran erinnern, was unseren Brüdern in Israel geschehe, wir dürften sie niemals vergessen.

Letzten Samstag-Abend war Ezra (fast 17 Jahre alt) in einen leichten Verkehrsunfall in Toronto verwickelt. Er rief seine Eltern an, sagte ihnen, daß er auf einen Abschleppwagen warte – sie sollten sich nicht aufregen. Ezras Vater, der diesen Abend seinen 49 Geburtstag feierte, entschied sich jedoch, bei seinem Sohn zu sein und verließ das Haus. Nach einer Weile, während sie auf den Abschleppwagen warteten, beschlossen sie, in eine nahegelegene Pizzeria zu gehen. Vielleicht um ein Stück Pizza zu kaufen, vielleicht, um das Telefon zu benutzen.

Gerade als sie ankamen, verließen zwei Skinheads das Restaurant. Dort hatten sie zuvor versucht, einen der Kellner zu erstechen. Als sie Ezra und seinen Vater vor der Tür erkannten – zwei religiöse Juden – stellten sie sich hinter sie und erstachen Ezras Vater.

David Rosenzweig, der mit der Tochter der Rebbetzin verheiratet war, hinterläßt sechs Kinder. Darunter ist ein achtjähriger und ein zwölfjähriger Sohn, dessen Bar Mitzwa im kommenden Jahr gefeiert wird. Davids Eltern waren Überlebende des Holocaust. Ihr Sohn mußte an einem Platz sterben, wo man es am wenigsten erwartet hätte: Toronto, Kanada. Die Stadt ist nicht der Platz, von dem erwartet wird, daß dort antisemitische Morde geschehen. Dies war der 15. Mord in Toronto in diesem Jahr. Es gibt dort eine große jüdische Gemeinde in der Stadt, ebenso viele Synagogen und jüdische Gemeindehäuser. Einige Leute, die von dem Vorfall hörten, sagten: „Solche Dinge passieren nicht in Toronto“.

Leider passieren sie doch – und zwar überall auf der Welt. Wo immer Juden sind, gibt es auch jemanden, der sie haßt. Es gibt jemanden, der bereit ist sie zu töten, aus keinem anderen Grund außer dem, daß sie Juden sind. Das ist nichts neues. Es passiert schon seit fast 2000 Jahren.

Hier in Israel sind wir nur allzu vertraut mit diesem Phänomen. Hier sind die Mörder nicht verrückte Einzeltäter, hier müssen wir das Töten von Juden in Eretz Israel erleben, nur weil Juden hier im Lande leben.

Diesen Donnerstag, gedenken wir der Zerstörung des Beit HaMigdash, des Tempels in Jerusalem vor fast 2000 Jahren. Es steht geschrieben, daß der zweite Tempel zerstört wurde wegen Sinat Hinam – blindem Haß unter Juden. Auch jetzt im Jahr 2002 schlägt uns Haß entgegen. Sowohl von außen (wie der tragische und nutzlose Mord an einem gerechten Mann wie David Rosenzweig zeigt) als auch von innen. Es ist überflüssig, den unnötigen Streit zwischen Juden zu beschreiben, in Israel oder wo immer sie sind. Wenn es uns – Juden wie Nichtjuden – gelingt, unsere Mitmenschen zu akzeptieren, vielleicht gelingt es uns dann auch, den blinden Haß – den wir nur all zu gut kennen – in „blinde Liebe“ zu transformieren, wie es Rav Kook sagte.

Dann werden wir nicht länger solche herzzerreißenden Vorgänge beklagen müssen wie den Mord an David Rosenzweig an diesem Samstag. Möge unsere „blinde Liebe“ die Familie festigen.

Herzliche Grüße aus Hebron,

Ihr
David Wilder

Der Autor ist Sprecher der Jüdischen Gemeinschaft in der Erzväterstadt Hebron/Judäa.

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