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Kommentar: Die bösen Medien und ihre Opfer

„Ihr Journalisten seid schuld daran, daß die ganze Welt gegen uns ist!“ Verärgert dreht mir der Israeli den Rücken zu. – „Dir sage ich nichts mehr!“ Weil ich nicht zu allem Ja und Amen sage, was mein palästinensischer Freund mir erklärt, kündigt er mir die Zusammenarbeit auf. Es gibt kaum etwas, über das in Nahost nicht gestritten wird. Selbst der Straßenverkehr, ein Elternabend in der Schule oder die Diskussion über die angemessene Bezahlung eines Handwerkers gleichen oft eher einem Krieg als einer friedlichen Koexistenz. Nur an einer Stelle sind sich alle einig: Die Medien sind schuld!

Palästinenser beklagen sich, daß westliche Journalisten kein Verständnis für ihr Los zeigen, die Kriegführung und Besatzung „der Juden“ verharmlosen und damit eine entscheidende Mitverantwortung an ihrer Misere tragen. Israelis sehen sich mit dem Rücken zur Wand einer haßerfüllten arabischen Welt gegenüber. Nach Jahrzehnten des Terrors fühlen sie sich allein gelassen und unverstanden – wie schon so oft in der Jahrhunderte alten Geschichte des Antisemitismus.

Eines sollte unmißverständlich klar sein: Für (auch nur latenten) Antisemitismus in den Medien, für verzerrende und einseitige Darstellungen gibt es keine Entschuldigung. Wenn Journalisten unprofessionell arbeiten, sollte das beim Namen genannt, nachgewiesen und angeprangert werden. Aber es gibt noch eine ganze Reihe anderer Gründe dafür, daß die öffentliche Meinung einseitig und der Situation vor Ort unangemessen ausfallen kann. Nicht nur die Situation im Heiligen Land, sondern auch das Mediengeschehen ist höchst kompliziert.

Das Abendland ist christlich geprägt. Allenthalben ist klar: Gott hat das Schwache erwählt. Wenn wir dann Bilder von Kindern sehen, die sich Panzern entgegenstellen, steht ohne langes Nachdenken fest, wer im Recht ist. Entscheidend und für die weitere Beobachtung prägend ist der erste Eindruck – nicht das mühsame Forschen um komplizierte Zusammenhänge oder gar die Überlegung, ob eine biblische Grundaussage unreflektiert auf jede beliebige Situation anwendbar ist.

„Sie hatten nichts anderes im Sinn, als etwas Neues zu sagen oder zu hören.“ So charakterisierte Paulus vor zweitausend Jahren das Interesse der Athener (Apostelgeschichte 17,21). Das Neue, Nie-Dagewesene und Spektakuläre macht die Medien zu einer Macht. Geschichtliche Zusammenhänge sind schwer zu verstehen und langwierig zu erklären. Wen interessiert heute schon, warum Israel „die Westbank“ besetzt hat und in den vergangenen drei Jahrzehnten besetzt hielt? „Aktualität“ hat höchste Priorität. Kalter Kaffee von Gestern verlockt keinen – was oft dazu führt, daß Ursache und Wirkung verkehrt werden.

„Das wollen unsere Leser nicht!“ ist einer der häufigsten Sätze, den man als Korrespondent von Redakteuren in der Heimat zu hören bekommt. Medien sind keine Einbahnstraße sondern unterliegen dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Darin liegt eine große Gefahr. Verkaufen läßt sich nur das Außergewöhnliche, die Bilder von Kämpfen und Zerstörungen. Daß Touristen auch heute noch zwei Wochen in Israel unterwegs sein können, ohne etwas vom Kampfgeschehen mitzubekommen, ist für die Berichterstattung uninteressant. Und wenn die Leser nur an der Sicht der Gleichgesinnten interessiert sind, zum Beispiel messianischer Juden und palästinensischer Christen, dann muß ein Zerrbild entstehen. Denn beide Gruppen sind eine verschwindend kleine Komponente in ihrer Gesellschaft und haben praktisch keinen Einfluß auf das politische Geschehen.

Im Zusammenspiel zwischen Lesern und Schreibern liegt aber auch eine große Chance. Leserbriefe und Hörerreaktionen werden von allen Redaktionen ernstgenommen. Kein Medium kann existieren ohne seine Medienkonsumenten. Das Geld für den Druck von Zeitungen und die Gehälter der Journalisten kommt in der Regel direkt oder indirekt von den Lesern. Vielleicht ist es gar nicht überspitzt, zu behaupten, daß der Medienverbraucher das vorgesetzt bekommt, was er von seinem Meinungsmacher (bewusst oder unbewusst) fordert.

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