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Hildesheim: Seminar nach Antisemitismus-Vorwurf gestrichen

Ein niveauvoller Diskurs über akademische Themen sollte Grundlage eines geisteswissenschaftlichen Studiums sein. Doch hinter angeblicher Wissenschaftlichkeit kann sich auch eine israelfeindliche Haltung verbergen, wie ein Fall an einer Hochschule in Hildesheim zeigt.
Sieht sich dem Vorwurf des Anti-Israelismus ausgesetzt: die HAWK in Hildesheim
HILDESHEIM (inn) – Zehn Jahre lang konnte die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim ungestört ein Seminar mit anti-israelischen Inhalten anbieten. Es war für angehende Sozialarbeiter gedacht. Am Freitag hat die Universität die Tandem-Lehrveranstaltungen „Der Nahost-Konflikt – Perspektiven von Sozialer Arbeit in Israel“ sowie „Zur sozialen Lage der Jugendlichen in Palästina“ aus dem Lehrangebot gestrichen. Die Vorwürfe richten sich gegen das letztgenannte Seminar. Den Stein ins Rollen brachte Rebecca Seidler. Die promovierte Religionspädagogin sollte in Hildesheim das Seminar über die soziale Arbeit in Israel übernehmen, da die bisherige Dozentin Hemda Bottenberg erkrankt ist. Diese Lehrveranstaltung besteht seit 2000, im Jahr 2006 wurde sie im Rahmen eines Moduls an das Seminar zu den Jugendlichen in Palästina gekoppelt. Deshalb sah sich Seidler zur Vorbereitung die Unterlagen der Dozentin Ibtissam Köhler an – und war schockiert wegen der anti-israelischen Inhalte, wie die Tageszeitung „Die Welt“ berichtet. Im offiziellen Seminarplan waren Sitzungsthemen angegeben wie „Die palästinensische Katastrophe / Ethnische Säuberung Palästinas“. Zu der Einheit „Intifada I und II“ gehörten diese Erläuterungen: „Die Palästinenser werden als Nicht-Menschen behandelt … die Palästinenser werden als Abfall behandelt“. Köhler wollte auch, dass ihre Studenten „Den Nahost-Konflikt verstehen lernen“. In diesem Zusammenhang wurde Israel so beschreiben: „Zunehmende Gewalt beim Militär, Selbstmorde, sexuelle Gewalt, Militarisierung der Gesellschaft ab Kindergartenalter, Vernachlässigung der sozial Schwachen und vermehrt tödliche Gewalt gegen israelische Frauen. Dies ist die lokale israelische Version einer entmenschlichten Gesellschaft.“ Unkommentiert tauchte ein Artikel des Journalisten Donald Boström vom August 2009 in dem Lehrmaterial auf. Der Schwede behauptete seinerzeit in der Zeitung „Aftonbladet“, israelische Soldaten hätten Palästinenser getötet und ihnen dann Organe entnommen. Kurz darauf gab er zu, dass er keinerlei Beweise für diese Anschuldigung habe. Dennoch war der Artikel für die Lehrveranstaltung ins Deutsche übersetzt worden. Sowohl die erkrankte Dozentin Bottenberg als auch Studenten, die das Seminar in einer Evaluation als „einseitig“ bewerteten, hatten immer wieder vergeblich ihre Kritik geäußert. Seidler sagte den Lehrauftrag wegen „Unwissenschaftlichkeit und Einseitigkeit des Seminars“ ab.

Ministerium reagiert nicht

Die Mutter der Religionspädagogin sitzt im Direktorium des Zentralrates der Juden in Deutschland, der deshalb auf das Seminar aufmerksam wurde. Er wandte sich an das niedersächsische Kultusministerium, erhielt von dort keine Reaktion und gab ein Gutachten in Auftrag. Dieses erstellte die Amadeu-Antonio-Stiftung und legte es im September 2015 der HAWK vor. Autor Jan Riebe stellte fest, dass das eigentliche Seminarthema in den Materialien nur in Ansätzen vorkomme. Die meisten Texte widersprächen wissenschaftlichen Mindestanforderungen, einige seien „agitatorisch“. Riebe hat eine solche Zusammenstellung negativer Aussagen über Israel nach eigenen Angaben bislang fast ausnahmslos in Nazikreisen angetroffen. Ein solches Seminar sei „unvereinbar mit den demokratischen Grundsätzen einer Hochschule“, hielt er fest. Der Zentralrat wiederholte im Januar seine Anfrage an das Ministerium und fügte das Gutachten bei. Nach einem halben Jahr reagierte die Ethikkommission der HAWK. Anhaltspunkte dafür, dass anti-israelische oder antisemitische Inhalte „in unzulässiger Weise propagiert werden“, fand sie nicht. Die Hochschule betonte, die Materialien seien lediglich Vorschläge für eine wissenschaftliche Diskussion gewesen. Hochschulpräsidentin Christiane Dienel teilte laut „Welt“ mit, sie sei „traurig und betroffen“. Denn ihre Hochschule werde „in falschem Licht“ dargestellt. Sie bezeichnete sich als „echte Israel-Freundin“. Ihren Kindern habe sie „jüdische Vornamen“ gegeben. Doch einige Leute wollten mit dem „völlig unberechtigten Vorwurf des Antisemitismus“ verhindern, dass „unterschiedliche Sichtweisen zu diesem Konflikt an unserer Hochschule zu Wort kommen“. Kritikern warf sie vor, zu ignorieren, dass Köhlers Seminar „nur in Kombination mit einem Seminar aus israelischer Sicht belegt werden kann“.

Voraussichtlich ab Januar: Seminar neu konzipiert

Die HAWK teilte mit, die Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit biete nunmehr ein neues Lehrformat zum Thema „Nahost-Konflikt und Soziale Arbeit“ an. Es sei für Januar 2017 angedacht. „Mit dieser Entscheidung reagiert die Fakultät auf die in der aktuellen Debatte vorgebrachten Punkte und auch auf die Tatsache, dass für die Lehrenden und Studierenden kein sicheres und vertrauensvolles Lehrumfeld gewährleistet werden kann.“ Studiendekanin Anna Friedrich verwies auf Drohungen aus unterschiedlichsten Quellen. „Antisemitismus hat an unserer Hochschule keinen Platz“, wird Präsidentin Dienel in der Mitteilung zitiert. „Jeder, der die HAWK kennt, weiß, dass wir auf allen Ebenen Diskriminierungen aktiv entgegenwirken.“ In einer weiteren Ankündigung hieß es, die Hochschule begrüße „ausdrücklich die vom zuständigen Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen beschlossene Einsetzung eines unabhängigen externen Gutachters zur Untersuchung der Vorwürfe angeblicher antisemitischer Tendenzen in dem von der HAWK angebotenen Seminar ‚Zur sozialen Lage der Jugendlichen in Palästina‘“.

Israelischer Diplomat spricht von „Hassfabrik“

Zum bisherigen Seminar äußerte sich am Donnerstag der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Emmanuel Nahschon. Er schrieb in einer Mail an die Tageszeitung „Jerusalem Post“: „Dies ist eine hässliche und abscheuliche Demonstration von Judenhass. Das ist keine Universität, es ist eine Hassfabrik. Man sollte meinen, dass in Deutschland vor allen anderen Orten die Leute die schädliche Natur von Hass und Rassismus in einer pseudo-akademischen Verkleidung verstehen.“ Kritisch äußerte sich auch der Bundestagsabgeordnete von „Bündnis 90/Die Grünen“, Volker Beck. „Das Seminar war unwissenschaftlich, einseitig und in haarsträubender Weise israelfeindlich“, zitiert die Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ auf ihrer Internetseite aus einer Mitteilung des Vorsitzenden der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. „Man fragt sich, wie so etwas zehn Jahre an einer Hochschule möglich war.“ (eh) In einer früheren Version des Artikels hatte Israelnetz fälschlicherweise den Eindruck erweckt, die HAWK sei Teil der Universität Hildesheim. Es handelt sich jedoch um eine eigenständige Hochschule, die nichts mit der Universität zu tun hat.

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