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Das entspannte Musikgenie Itzhak Perlman

Er spielt so leidenschaftlich schön, als ob er beten würde: Itzhak Perlman ist der Geigen-Virtuose unserer Zeit. Eine Dokumentation beleuchtet jetzt im Kino seine Kindheit und Jugend in Israel. Der Mann, der mit vier Jahren an Polio erkrankte und fortan auf Gehhilfen angewiesen ist, zeigt sich hier als entspanntes Genie. Eine Filmkritik von Michael Müller
Der Violinist Itzhak Perlman ist einer der bedeutendsten Musikkünstler der Gegenwart

Der 70-jährige Itzhak Perlman sitzt mit seinem Elektro-Scooter im Violinen-Geschäft seiner Kindheit. Der Stargeiger, der noch in Palästina unter britischem Mandat geboren wurde, in Israel aufwuchs und als Erwachsener in New York lebt, ist in Tel Aviv beim Ladenbesitzer Annon Weinstein zu Besuch. In dieser Nachbarschaft ist Perlman aufgewachsen. Sie schauen sich gemeinsam alte Violinmodelle an. Das sei eine Violine, die ein Jude in Warschau versteckte, als die Deutschen kamen, erzählt Weinstein. Dessen Familie habe die Violine mit nach Jerusalem retten können. Im Inneren einer anderen Violine zeigt er Perlman die Inschrift „Heil Hitler 1936“ – daneben ist ein Hakenkreuz eingeritzt.

Der Dokumentarfilm „Itzhak Perlman – Ein Leben für die Musik“, der einen der virtuosesten Musiker der Welt portraitiert, erzählt davon, wie jede Violine ihre eigene Geschichte hat. Noch wichtiger ist in diesem Fall aber der Mann, der das Instrument spielt. Der Violinenmacher Weinstein fasst es in diesem Moment so zusammen: „Itzhak, du hast eine Gabe. Du spielst so, als würdest du mit der Violine beten.“ Wer sich für klassische Musik interessiert, kennt den Namen Itzhak Perlman. Aber auch wer mal das Meisterwerk „Schindlers Liste“ sah, hat schon Perlmans Musik gehört. Das melancholische, unvergessliche Violin-Thema des Films hat er nämlich für Regisseur Steven Spielberg eingespielt.

Zu Gast bei Obama und Netanjahu

Im Elektro-Scooter in Tel Aviv sitzt er nicht wegen seines Alters, sondern weil er mit vier Jahren an der Kinderlähmung Polio erkrankte. Seither ist er auf Gehhilfen angewiesen. Wenn aber die Dokumentation eines ist, dann ein lebensbejahendes, unterhaltsames und beschwingtes Sehvergnügen. Die amerikanische Dokumentarfilmerin Alison Chernick begleitet Perlman und seine Frau Toby durch den Alltag – aber auch zur Verleihung der Friedensmedaille, die ihm US-Präsident Barack Obama übergibt. Sie fahren nach Jerusalem zum jüdischen Nobelpreis, wo der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu das Paar am Abend zu sich nach Hause einlädt. „Jeden Staatschef zu treffen, ist aufregend. Wir müssen nicht über Politik sprechen. Wir können über Essen und Musik reden“, sagt Perlman vor dem Treffen mit einem Augenzwinkern.

Toby und Itzhak Perlman schauen sich antiquierte Geigenmodelle in Tel Aviv an Foto: Arsenal Filmverleih
Toby und Itzhak Perlman schauen sich antiquierte Geigenmodelle in Tel Aviv an

Gleichzeitig ist die Dokumentation eine Liebesgeschichte. Sie zeigt Perlmans Liebe zur Musik und zu seinem Instrument, das atmet und dessen Holz sich je nach Wetterlage verändert. Aber es ist auch die Liebesgeschichte zu seiner Frau Toby, die ihm den klassischen Komponisten Franz Schubert näher brachte. Für Perlman war es in seiner Jugend unmöglich, Schubert musikalisch zu entdecken, weil er zu dieser Zeit komplett auf das israelische Radio angewiesen war. In jeder Szene ist der Respekt zwischen Itzhak und Toby zu sehen, ist die Leidenschaft in Gesprächen und Gesten wahrzunehmen. Sie verliebte sich in ihn, als sie Perlman spielen hörte.

Seltene Archivaufnahmen aus Israel

Der Film nähert sich Perlmans Leben mit einer guten Mischung aus frisch gedrehten Aufnahmen und seltenem Archivmaterial. Zu sehen ist etwa Perlmans internationaler Durchbruch von 1958 in der Ed Sullivan Show. Als 13-Jähriger verzauberte er dort auf der Violine das amerikanische Publikum. Es gibt schöne schwarzweiße Interview-Ausschnitte auf Hebräisch, die Perlman in den 1970er-Jahren gegeben hat. Auch ist er mit dem Israel Philharmonica Orchestra auf Tour zu sehen. Überhaupt gibt es viel sehr gute Musik zu hören – unter anderem bei einem Auftritt Perlmans mit der amerikanischen Poplegende Billy Joel. Sie üben für ein Konzert den Hit-Song „We Didn’t Start the Fire“ neu ein.

Aber Regisseurin Chernick strebte keine reine Heldenverehrung an. Ohne Zweifel ist Perlman eine inspirierende Figur, die mit seinem nach ihm benannten Musikprogramm eine Förderung für Nachwuchskünstler ins Leben gerufen hat. Aber der Film zeigt auch seine Probleme im Alltag, wenn er mit dem Elektro-Scooter an einem verschneiten New Yorker Tag über den spiegelglatten Bordstein vorankommen will – und scheitert. Lange Zeit waren seine Krücken zu Beginn seiner Karriere ein Hindernis. Es hieß, damit könne er auf der Bühne kein herausragender Künstler werden. Tatsächlich steht sein Name heute wie fast kein anderer für das Geigenspiel selbst. Dabei löst es der Film elegant, dass die Erkrankung immer wieder in Episoden gestreift, aber nie das alles dominierende Thema wird. Perlman ist heute ein entspanntes Genie, durch den die Musik wie das Leben strömt. „Itzhak Perlman – Ein Leben für die Musik“ zeigt das in jeder Minute.

„Itzhak Perlman – Ein Leben für die Musik“, Regie: Alison Chernick, 83 Minuten, ab 6 Jahren freigegeben, seit dem 9. August in den deutschen Kinos

Von: Michael Müller

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