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Müder Nahostkonflikt in Hamburger Altbau

Es klingt wie ein spannendes Kammerspiel: Eine Mossad-Agentin und eine libanesische Doppelagentin teilen sich zwei Wochen lang die selbe Hamburger Wohnung, um sich vor der Hisbollah zu verstecken. Leider ist der Film „Aus nächster Distanz“ motivisch überladen und wenig packend. Eine Filmkritik von Michael Müller
Die beiden Hauptdarstellerinnen Neta Riskin (l.) und Golshifteh Farahani retten den Agenten-Thriller „Aus nächster Distanz“

Was bringt einen Menschen dazu, sein Land zu verraten? Der Film „Aus nächster Distanz“ erklärt lange Zeit nicht, was die Libanesin Mona (Golshifteh Farahani) dazu verleitet, mit dem israelischen Auslandsgeheimdienst zusammenzuarbeiten. Aber die Tätigkeit muss für den Mossad sehr wertvoll gewesen sein. Schließlich organisiert er ihr eine Wohnung in Hamburg, eine Gesichtsoperation und einen kanadischen Pass, um untertauchen zu können. Bis ihre Wunden soweit verheilt sind, dass sie reisen kann, kümmert sich die israelische Aufpasserin Naomi (Neta Riskin) um sie. Aber die beiden Frauen können einander nicht vertrauen. Zudem ist die libanesische Terror-Organisation Hisbollah Mona dicht auf den Fersen.

Regisseur Eran Riklis, der einem deutschen Publikum durch seine Filme „Die syrische Braut“ (2004) und „Lemon Tree“ (2008) bekannt geworden ist, wagte sich hier an einen Agenten-Thriller. Das Besondere daran sind seine Figuren und das Setting: Bei „Aus nächster Distanz“ spielt ein Großteil der Handlung in einer Hamburger Altbauwohnung, die einmal einer jüdischen Familie gehörte, welche sich darin während der Zeit des Nationalsozialismus versteckte. Vor dem Haus fallen der Israelin Naomi sofort die Stolpersteine ins Auge, die zu Ehren der Familie dort angelegt wurden.

Das graue Hamburg passt zum Agenten-Thriller: Aber gibt es wirklich noch so viele Telefonzellen in der Hansestadt? Naomi (Neta Riskin) freut es jedenfalls. Foto: NFP marketing & distribution*/ Heimatfilm / Riva Film
Das graue Hamburg passt zum Agenten-Thriller: Aber gibt es wirklich noch so viele Telefonzellen in der Hansestadt? Naomi (Neta Riskin) freut es jedenfalls.

„Ich musste jeden Morgen zu Jesus beten“

Naomi fällt für die zwei Wochen Aufenthalt auf der Straße in Hamburg nicht weiter auf, weil sie fließend Deutsch spricht. Ihr Vater arbeitete in der deutschen Botschaft in Berlin und schickte sie mit zwölf Jahren auf eine katholische Schule. Die Begründung lautete, dass sie angeblich qualitativ besser als die jüdische Schule sei. „Ich musste jeden Morgen zu Jesus beten“, erzählt sie Mona. Die beiden Frauen nähern sich in Gesprächen vorsichtig an. Aber das Misstrauen bleibt. So fragt sich auch der Zuschauer lange, welche Aussagen der Damen stimmen und welche das Gegenüber nur manipulieren sollen.

Dabei überlädt der Film motivisch seine Figuren: Naomi ist nicht nur Jüdin mit einer goldenen Kreuzkette. Sie hat auch vor kurzem erst eine wichtige Person in ihrem Leben verloren, die Trauerarbeit noch nicht abgeschlossen und versucht mit Hilfe von künstlicher Befruchtung schwanger zu werden. Die schwer zu durchschauende Mona darf dagegen länger mehr Geheimnisse für sich behalten. Das hilft den Thriller-Elementen, die im grauen Hamburg sowieso eine schön atmosphärische visuelle Entsprechung finden. Nur irritieren die vielen Telefonzellen in der Nähe der Wohnung, in denen Naomi mit ihrem Vorgesetzten sprechen kann, ohne abgehört zu werden. Heutzutage sind die in einer Großstadt doch eigentlich an einer Hand abzuzählen.

Ein Lichtblick bei den zu vielen Nebenfiguren: der intensive Kurzauftritt des türkischen Charakterdarstellers Haluk Bilginer („Winterschlaf“) als Kurde Ahmet Foto: NFP marketing und distribution* / Gordon Timpen
Ein Lichtblick bei den zu vielen Nebenfiguren: der intensive Kurzauftritt des türkischen Charakterdarstellers Haluk Bilginer („Winterschlaf“) als Kurde Ahmet

Eher überbevölkerte Hotel-Lobby als packendes Kammerspiel

„Aus nächster Distanz“ hätte ein packendes Kammerspiel werden können, bei der zwei Gegnerinnen gezwungen sind, die Feindlichkeiten ihrer Länder zu vergessen und sich aufgrund der beschränkten Räumlichkeiten anzunähern. Tatsächlich wirkt die Hamburger Wohnung aber eher wie eine Hotel-Lobby mit Drehtür, bei der ständig bekannte und unbekannte Menschen ein- und ausgehen.

Die Faszination geht eher von den beiden Hauptdarstellerinnen aus. Besonders die Israelin Neta Riskin, die in ihrer Heimat durch die Erfolgsserie „Shtisel“ bekannt wurde, weiß zu überzeugen. In ihre Figur Naomi mag zu viel hineingepackt worden sein. Und doch braucht sie nur eine einzige Szene, um aus einer zarten, wankenden Persönlichkeit eine überzeugende Mossad-Agentin zu machen: Sie baut mit geschickten Fingergriffen bitzschnell eine Pistole auseinander, kontrolliert sie und setzt sie wieder zusammen. Die Reflexe funktionieren noch sehr gut. Der Filmspaß besteht darin, ihr und der iranischen Hauptdarstellerin Golshifteh Farahani beim Vertrauen, Misstrauen und dem potenziellen Verrat zuzuschauen. Leider ist der Thriller, der darum gezimmert ist, eher weniger packend.

„Aus nächster Distanz“, Regie: Eran Riklis, 93 Minuten, freigegeben ab 12 Jahren, ab 9. August in den deutschen Kinos.

Von: Michael Müller

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