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Israelischer Comic „Der Realist“: Leben zwischen Liebe und Angst

Das mit dem Eisner-Preis prämierte Comicbuch des israelischen Autors und Zeichners Asaf Hanuka heißt schlicht „Der Realist“. Es entführt mit poetischen Pinselstrichen und satirischem Scharfsinn in den Alltag eines Tel Aviver Familienvaters, dessen große Triebfedern für das Leben die Angst und die Liebe sind. Eine Rezension von Michael Müller
„Der Realist“-Cover: Immer entwischt der israelische Comic-Autor Asaf Hanuka mit seiner Familie nur knapp der nächsten Katastrophe
„Wenn Comics gut gemacht sind, kann die Persönlichkeit des Autors in jeder Linie wiedergefunden werden“, sagt der israelische Zeichner und Autor Asaf Hanuka. In seinem neuen Comicbuch „Der Realist“ finden sich originell gezeichnete, autobiografische Geschichten aus dem Alltagsleben eines Durchschnittsmenschen, die durch den Zeichenstil und den Blickwinkel einzigartig werden. Hanuka setzt auf eine Intimität zwischen Künstler und Leser, die sofort sympathisch wirkt. Der Comic-Künstler Hanuka ist 42 Jahre alt. Er zeichnet sich selbst höchst durchschnittlich: Bärtig, schmächtig, mit Brille und schütterem Haar. Wenn er sein Leben mit Frau und Kind in der Heimatstadt Tel Aviv schildert, schwitzt er häufig in den Bildern. Er ist ständig im Stress und sucht mit Hilfe der Fantasie und seinem Zeichenpinsel Auswege aus den emotionalen Sackgassen des Alltags. Seit 2010 arbeitet Hanuka an „Der Realist“: Damals brauchte er ein regelmäßiges Einkommen. Ein Redakteur der wöchentlichen Wirtschaftszeitung „Calcalist“ überzeugte ihn, eine kleine Comic-Kolumne für die letzte Seite zu zeichnen. Das nun veröffentlichte Comicbuch ist eine Zusammenfassung dieser Arbeit.

Schlaf gut, Korporal Schalit

Die Angst ist Hanukas große künstlerische Triebfeder. Während seine Frau in einem Comic von der neuen Wohnung schwärmt, in die sie einziehen wollen, betrachtet Hanuka nur den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad auf dem Fernsehschirm. Der schwärmt von einem nuklearen Holocaust gegen Israel. Ein anderer Comic, der „Schlaf gut, Korporal Schalit“ heißt, gedenkt des israelischen Soldaten Gilad Schalit, den die Hamas mehr als fünf Jahre lang gefangen hielt. Die Bilder sind in melancholischem Gelb und Lila gehalten. Die Sonne ist gerade untergegangen, und Hanuka bringt seinen eingeschlafenen Jungen ins Bett. Vom Fenster schwenkt der Comic in der Nacht auf das kleine erleuchtete Fenster von Schalits Gefängniszelle. Da schwingt natürlich auch die Angst um das eigene Kind mit, das in gar nicht so ferner Zukunft ebenfalls den Militärdienst antreten wird. „Vater zu werden war die größte Veränderung in meinem Leben. Als ich Vater wurde, musste ich plötzlich erwachsen werden und Verantwortung zeigen“, sagt Hanuka. Das multikulturelle und liberale Tel Aviv ist in seinen Augen der beste Ort in Israel, um Kinder großzuziehen. Hanuka steht weniger in einer israelischen Comic-Tradition. Seine Vorbilder sind Amerikaner wie Robert Crumb, Harvey Pekar und Daniel Clowes. Das sind alles Persönlichkeiten, die aus ihrem täglichen Scheitern den künstlerisch größten Erfolg gezogen haben. Im kalifornischen San Diego erhielt Hanuka im Juli den Eisner-Preis. Es ist eine prestigeträchtige Auszeichnung in der Branche, die vom Stellenwert her mit dem Oscar im Filmgeschäft gleichzusetzen ist. Hanuka bezeichnet sein Vorbild Crumb, dem er in „Der Realist“ eine eigene Seite gewidmet hat, als echte „Alternative zur amerikanischen Leitkultur“.

Schuldgefühle am Holocaust-Gedenktag

Comics zu zeichnen, begann der Israeli während seines Militärdienstes. Die Zeichnungen erschienen in der offiziellen Wochenzeitung der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, „Bamahane“. Nachdem er in Frankreich Sequentielle Illustration, also die Comic-Kunst, studiert hatte, arbeitete er bei Comicbüchern mit dem israelischen Autor Etgar Keret („Die sieben guten Jahre“) zusammen und steuerte Bilder zum oscarnominierten Animationsfilm „Waltz with Bashir“ bei. Einmal fährt Hanuka in einer Comic-Episode nach Bnei Barak, einer ultra-orthodoxen Stadt, in der es günstige Lebensmittel gibt: „Für den Preis eines Gerichts in Tel Aviv bekommt man dort Lebensmittel für einen Monat.“ Allerdings verkaufen die Händler nur an religiöse Menschen. So wird aus dem Einkauf eine Undercover-Mission mit ungewissem Ausgang. In der Geschichte „Ein guter Jude“ setzt er sich mit seinen Schuldgefühlen am Holocaust-Gedenktag auseinander. Die Bilder sind schwarzweiß gezeichnet. „Ich habe Schuldgefühle, weil ich nicht da war und weil mein Leben so einfach ist“, heißt es in einer Sprechblase. Hanuka zeichnet sich beim Sinnieren über den Holocaust-Gedenktag selbst als die berühmte jüdische Publizistin Hannah Arendt. Er denkt darüber nach, ob seine Schuldgefühle auch daran liegen könnten, dass sein Opa ursprünglich aus dem Irak nach Israel kam. Und dann erzählt er die Geschichte seines Opas in nur drei Bildern: Vom Auffanglager, der Armut und Arbeitslosigkeit und wie er mit seiner Familie in eine Sozialwohnung zog und alles in Ordnung kam. Mit wenigen Momenten kann Hanuka die Entwicklung eines ganzen Lebens anreißen, in einem einzigen Bild das ausdrücken, wofür andere Autoren ganze Bücher brauchen.

Mutter schämte sich für arabische Wurzeln

Der 42-Jährige, der einen Zwillingsbruder hat, wuchs im Israel der 1970er-Jahre auf. Die Familie seiner Mutter immigrierte aus dem Irak. Sie schämte sich für ihre arabischen Wurzeln. Mit den Kindern sprach sie deswegen nie in ihrer Muttersprache. Juden aus arabischen Ländern haben es in Israel schwerer, lautet Hanukas Lebenserfahrung. Die Identitätsfrage spielt deshalb in seinem künstlerischen Schaffen eine große Rolle. Bei jedem Durchblättern des Comicbuches fällt eine andere Geschichte ins Auge. Einige Bilder sind so reichhaltig und schön, dass sie auch die eigene Wand gut schmücken würden. Viele Bilder beinhalten satirische Spiegelungen: Wenn in der oberen Bildhälfte Hanukas Sohn etwa Spielzeug-Geschenke auspackt, zeigt die untere Bildhälfte in tristen Farben asiatische Kinder, die das Spielzeug in einer Fabrik bauen und einpacken müssen. Die zweite große künstlerische Triebfeder in Hanukas Leben, nämlich die Liebe, wird in der feinen Pinselführung ersichtlich, wenn es beispielsweise um seine Frau geht. Er zeichnet sie in allen Lebenslagen. Oftmals ist sie auch seine Antagonistin, die sich in besonderen Stressfällen schon mal in einen Werwolf verwandelt.

Liebeserklärung in rot-weiß-geringelten Socken

Aber eigentlich ist in jedem Comic-Kästchen die Liebeserklärung zu erahnen. Auch, wenn aus einem blutigen Boxkampf zwischen ihr und ihm im letzten Bild ein schlichtes Streitgespräch im Bett wird, das durch die Action davor bebildert wurde. In einer Geschichte zeichnet Hanuka nur Füße. Es ist ein trister Comic, weil der Blick des Ich-Erzählers immer auf den Boden der Szene gerichtet ist. Zum Schluss liegen seine schwarzen Socken aber neben den rot-weiß-geringelten Socken seiner Frau. Es ist der einzige Moment des Glücks an diesem geschilderten Tag. Probleme und Konflikte sind der Rohstoff von Hanukas Arbeit. Wenn er immer glücklich wäre, hätte er nichts zu erzählen, meint der Comic-Autor. Es geht ihm auch um soziale Projekte, etwa den Besuch einer Zeltstadt im Sommer 2011, als hunderte Israelis in Tel Aviv gegen die soziale Ungerechtigkeit und die angespannte Situation des Wohnungsmarkts demonstrierten. In die politische Debatte in Israel will er sich nicht einmischen: „Entweder sind die Leute auf der rechten oder auf der linken Seite, sie sind gegen die Besatzung oder für die Siedler und da gibt es keine wirkliche Diskussion, da sich beide Seiten ihrer Meinung sicher sind.“ Deswegen lässt Hanuka lieber seine Bilder sprechen.

Asaf Hanuka: „Der Realist“, Cross Cult, 192 Seiten, 29,95 Euro, ISBN 978-3-86425-594-6

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