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Israel auf dem Weg zur „Impf-Nation“

Im Übergang zwischen den Jahren gelang Israel ein gewaltiger Sprung: Zehn Prozent der Bevölkerung erhielten bereits die erste Covid-19-Impfung. Mit 950.000 Geimpften innerhalb von nur 13 Tagen steht der jüdische Staat einsam an weltweiter Spitze. Die Welt fragt verwundert: Wie schafft Israel es, ein solches Tempo vorzulegen? Eine Analyse von Antje C. Naujoks, Be'er Scheva
In Israel wurden innerhalb kürzester Zeit rund zehn Prozent der Einwohner gegen das Coronavirus geimpft

In Zusammenhang mit der Corona-Pandemie machte Israel häufig Schlagzeilen, die mit positiven wie negativen Superlativen gespickt waren: Israel war das erste Land, das seinen Flugverkehr einstellte. Der jüdische Staat gehörte zu den ersten Demokratien, die in einen landesweiten Lockdown mit massiver Beschränkung bürgerlicher Rechte gingen. Das digitale Spionageprogramm des Inlandsgeheimdienstes Schabak, um Quarantäne anzuordnen und zu kontrollieren, wurde im Ausland ebenso beachtet, wie die aufsehenerregende Beschaffung medizinischer Ausrüstungen durch den legendären Auslandsgeheimdienst Mossad.

Nach Bewältigung der ersten Welle galt Israel als Paradebeispiel dafür, wie trotz vieler Covid-Fälle eine Überlastung des Gesundheitswesens verhindert werden kann. International heimste der jüdische Staat viel Lob ein. Doch das Blatt sollte sich schnell wenden. Nur wenige Wochen später avancierte das Land zum Beispiel, wie Beschränkungen nicht aufgehoben werden sollten. Israel wurde zur ersten Nation der Welt, die in einen zweiten landesweiten Lockdown ging – der noch mehr Schlagzeilen machte, unter anderem weil Israelis sehr findig die diversen Bestimmungen umgingen.

Während der jüdische Staat zwischen den Jahren mit einem dritten Lockdown erneut zu den globalen Vorreitern gehörte, blickt die Welt nun aus einen anderen Grund verwundert nach Israel: Innerhalb von nur 13 Tagen impfte das Land 950.000 Bürger. Mit knapp mehr als zehn Prozent geimpfter Bevölkerung liegt es an der Impffront nicht nur an weltweiter Spitze, sondern lässt alle anderen Staaten weit hinter sich. Israel hat sogar Großbritannien, das die Impfkampagne rund drei Wochen früher anlaufen ließ, locker abgehängt.

Vorgezogener Impfstart

Am 9. Dezember 2020 traf die erste Ladung Impfstoff der Firma Pfizer-Biontech in Israel ein. Zehn Tage später war Premierminister Benjamin Netanjahu der erste Israeli, der geimpft wurde. Am Tag darauf lief die Impfung des medizinischen Personals an. Anschließend waren zunächst Senioren und Personen an der Reihe, die als über 60-Jährige zu Risikogruppen zählen.

Am 1. Januar 2021 konnte Israels Gesundheitsminister Juli Edelstein stolz verkünden: „Gestern haben wir einen neuen Rekord aufgestellt und innerhalb von 24 Stunden 153.430 Personen geimpft.“ Gerade einmal 13 Tage nach Anlaufen der Impfkampagne stand Israel davor, die Eine-Million-Marke der in erster Runde geimpften Bürger zu meistern.

Das ist umso bemerkenswerter, weil der Impfstart zunächst für Ende Dezember angesetzt war. Der Termin wurde vorgezogen, was den Verantwortlichen der vier israelischen Gesundheitskassen noch mehr schlaflose Nächte bescherte. Netanjahu hatte den Kassen praktisch über Nacht die Anweisung erteilt, zusammen täglich 60.000 Personen zu impfen. Ihre Leitungen verlautbarten öffentlich: Jede Kasse würde natürlich ihr Bestes geben, aber es sei zu bezweifeln, ob sie täglich so viele Menschen impfen könnten. Obschon Israel krisenerprobt ist, sahen viele andere Skeptiker bereits Chaos ausbrechen.

Gute Öffentlichkeitsarbeit

Natürlich kam es zu Querelen, aber Chaos brach nicht aus, ganz im Gegenteil. Letztlich blickt die Welt nach Israel und fragt: Wie schafft es Israel, sich in so kurzer Zeit an die Weltspitze der geimpften Personen zu katapultieren?

Dafür verantwortlich sind mehrere Faktoren. Zusammengenommen verschaffen sie dem Land entscheidende Vorteile, die das Gesundheitswesen voll ausschöpft. Dazu gehört, dass der jüdische Staat eine relativ überschaubare Bevölkerungsgröße hat und die große Mehrheit in gut erreichbaren urbanen Zentren lebt. Hilfreich ist auch, dass der israelische Gesundheitssektor auf fachlich hochqualifiziertem Personal aufbaut. Dieses ist bestens in der Gemeinschaft verankert und – einhergehend mit einer guten Öffentlichkeitskampagne von Regierung und Gesundheitskassen – lauter zu hören als die letzten Impfskeptiker.

Digitalisierung und Vernetzung

Ebenfalls ausschlaggebend ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens, denn weder bei der Vereinbarung des Termins noch bei der Impfung ist Papierkram und somit Bürokratie im Spiel. Der hohe Grad der Digitalisierung spielt auch im Hinblick auf die Bevölkerung eine Rolle. In Israel haben selbst hochbetagte Senioren ihren Termin nach Erhalt einer SMS eigenständig digital vereinbart; erforderlich sind lediglich zwei, drei Klicks auf dem Smartphone. Nur wer nicht mehr oder weniger umgehend auf die SMS reagierte, wurde angerufen. Das setzt Personal frei, spart Zeit bei Abläufen und erleichtert die Bewältigung von zeitgleich eingehenden Massenanfragen.

Unter Beweis stellten das auch die dennoch eingerichteten Telefonzentralen. Wer versuchte, auf eigene Initiative telefonisch einen Termin zu ergattern, musste lange warten und ging dennoch manchmal leer aus.

Die gute Vernetzung und massiv digitalisierte Kommunikation kommt auch bei der Nutzung von Impfdosen ins Spiel, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen. Gesundheitskassen mit solchen Kontingenten informierten die jeweiligen Stadtverwaltungen, die wiederum entsprechende Mitteilungen auf Facebook absetzten. Zahlreiche Bürger sind mit der Stadtverwaltung ihres Wohnortes vernetzt, so dass letztlich immer mehr Menschen erschienen, als Impfdosen ungenutzt hätten vernichtet werden müssen.

Anzuführen sind weitere förderliche Aspekte: In Israel muss jeder erwachsene Bürger einer Gesundheitskasse angehören. Kinder sind automatisch mitversichert. So schreibt es das Gesetz vor. Die Gesundheitskassen erreichen dadurch nicht nur jeden Bürger, sondern können relativ problemlos mit ihm in Kontakt treten.

Zudem gehört Israel weltweit zu jenen Ländern, deren Bürger sich sogar bis ins hohe Alter hinein ehrenamtlich engagieren. Für die Impfkampagne sagten viele Personen medizinischer Berufssparten ihrem Ruhestand zeitweise ade. Auch Israelis, die in der Armee im medizinischen Sektor gedient haben, meldeten sich freiwillig. Sie alle waren genauso wie festangestelltes Personal der Kassen dazu bereit, zu unbequemen Uhrzeiten an sieben Tagen die Woche in die Schichtpläne eingetragen zu werden.

Flexibles und lösungsorientiertes Vorgehen

Zwar sind Israelis nicht unbedingt Weltmeister im vorausschauenden Planen, dafür aber umso flexibler, wenn auf neue Konstellationen oder gar gänzlich unbekannte Situationen reagiert werden muss. Dann geht es für sie nicht darum, sich irgendwie mit neu auftretenden Gegebenheiten zu arrangieren, sondern mit handfesten Problemlösungen aufzuwarten. Dies oftmals zu einem Zeitpunkt, bei dem andere immer noch die Eckdaten des Problems als solches analysieren. Israel verlängerte schnell die Öffnungszeiten der Impfzentren und holt schon seit Tagen aus vier Dosen fünf Impfungen heraus, ohne dass der Impfschutz gemindert ist.

Ein solches flottes und flexibles Vorankommen wird überdies durch eine andere Konstellation begünstigt: die politische Dimension der israelischen Impfkampagne. Israel ist trotz guter internationaler Bündnispartner letztlich dennoch auf sich selbst gestellt, im Guten wie im Schlechten. Während Deutschland bei den Verhandlungen um Impfstoff in Beweggründe der Europäischen Union einlenken musste, war Israel unabhängig. Das Land ging shoppen; hemmungslos, ohne Abhängigkeiten oder gar Feinfühligkeit, dies zudem im großen Stil. Sicher ist eben sicher.

In Israel verlangsamt kein Föderalismus Entscheidungsprozesse. Das ermöglichte es, einhergehend mit der durchaus Tücken bergenden Zentralität der israelischen Systemstrukturen, dem Premier wie auch den Ministerien, schnelle Entscheidungen zu fällen und Anweisungen zu erteilen. Ohne großartige Debatten erging an die Gesundheitskassen schlichtweg die entsprechende Order.

Pluspunkte für Netanjahu bei Neuwahlen?

Doch bei der erfolgreichen Impfkampagne geht es nicht ausschließlich um die öffentliche Gesundheit und wirtschaftliche Zukunft des Landes. Zweifelsohne hat Netanjahu nicht aus dem Blick verloren, dass ihm dieser Erfolg bei der nächsten Wahl Pluspunkte verschaffen könnte. Die braucht er dringend. Israels Wähler, die mit seiner bisherigen Handhabung der Pandemie denkbar unzufrieden sind, sollen bereits im März zum vierten Mal innerhalb von nur zwei Jahren an die Wahlurnen pilgern.

Zudem muss Netanjahu, der auf den Beginn seiner Gerichtsverfahren blickt, derzeit miterleben, dass viele treue Likud-Politiker seiner Partei und damit auch ihm den Rücken kehren. Somit hat eine erfolgreiche Kampagne zugunsten der öffentlichen Gesundheit auch eine unübersehbare politische Dimension.

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