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„Der Welt Enden sehen das Heil“

Im Jahr 2004 kam der amerikanische Baptist Tommy Waller nach Har Bracha. Von einem jüdischen Winzer hörte er einen Bibelvers aus dem Prophetenbuch Jeremia. Dieser Vers veränderte das Leben der 13-köpfigen Familie Waller radikal und ließ ihn eine Organisation gründen, die jährlich Hunderte von Volontären in das Land Israel bringt.
Caleb Waller und seine Mutter Sherri sind trotz der vielen Aufgaben regelmäßig mit auf den Weinfeldern

Die Bilder könnten aus einem Film stammen, der eine Mischung aus Western, Hollywood und Rosamunde Pilcher ist: Auf dem Har Bracha, dem Berg des Segens im biblischen Samaria, schieben sich mehr als hundert Menschen über einen Rebberg, um Wein zu ernten. Die Stimmung ist ausgelassen. Kichernd und singend ziehen sie durch die Weinstöcke hindurch. Die Frauen tragen lange Röcke und Tücher auf dem Kopf, auffällig viele Männer haben Bärte und selbst Kinder gehen professionell mit den Rebscheren um. Viele von ihnen tragen ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ernte 2017“ oder aus den Jahren davor. Was sich im Herbst 2017 über mehrere Wochen täglich in Sichtweite zum Berg Gerizim, dem Sitz der Samaritaner, abspielt, sind keine romantischen Filmszenen, sondern Wirklichkeit: Jeden Morgen um 4.30 Uhr stehen etwa 200 Freiwillige auf, frühstücken und halten eine Morgenandacht.

Ein großer Teil bricht um 5 Uhr in die Weinberge auf. Sie arbeiten bis 11 Uhr, danach kehren sie schwitzend und klebrig zurück in ihr Lager, weil die Sonne zu heiß ist. Manche gehen am Nachmittag nochmals aufs Feld, um die Ernte für einige Stunden fortzusetzen. Um 17 Uhr gibt es Abendessen. Danach gibt es die Möglichkeit für Bibelstunden, Feierlichkeiten oder zum Ruhen. Manchmal kommen auch Referenten, um über christliche oder jüdische Themen zu lehren. Die meisten dieser Leute kommen aus den USA und gehen geregelten Berufen nach. Für sechs Wochen sind sie nach Israel gekommen, um jüdischen Winzern bei der Weinernte zu helfen. Es sind Freiwillige der Organisation HaYovel, die für ihre Arbeit kein Geld bekommen.

Neben der jüdischen Siedlung Har Bracha sind auf einem Berg Container aufgebaut, in denen die Freiwilligen in einfachen Unterkünften auf engem Raum schlafen. Ein Container enthält die Küche, in der eine Familie liebevoll die Mahlzeiten für 200 Menschen zubereitet. Der Vater hat früher einmal bei der amerikanischen Fastfood-Kette Dunkin’ Donuts gearbeitet. In einem anderen Container stehen Waschmaschinen, ein weiterer Container wird als Verwaltungsgebäude genutzt. Dort gibt es Büros für die Mitarbeiter und für die Freiwilligen, die sich einen Teil des Tages ihren Geschäften in der Heimat widmen müssen.

Die gebürtige Österreicherin Doris Wearp nimmt schon einige Jahre mit ihrer Familie an der Ernte teil Foto: Israelnetz, mh
Die gebürtige Österreicherin Doris Wearp nimmt schon einige Jahre mit ihrer Familie an der Ernte teil

Manche sind allein angereist, andere kommen als Familien mit zahlreichen Kindern. Da ist zum Beispiel Holly Mitchell, die in Kanada als Schuldirektorin arbeitet und mit ihren vier Söhnen ein wiederholtes Mal an der Weinernte teilnimmt. Ihr Mann ist vor sechs Jahren an Krebs gestorben. Ihm war Israel sehr wichtig und sein Vermächtnis war, dass seine Familie Israel zum Segen werden solle. Da ist die gebürtige Österreicherin Doris Wearp, die seit Jahren mit ihrem Mann Steve und ihren fünf Söhnen im Sommer aus den Staaten zu HaYovel kommt. Auch Alexandra Liebl kam zunächst mit ihrer Familie, in diesem Jahr aber alleine, um für drei Monate im Organisationsteam mitzuarbeiten. Sie alle brennen dafür, die Wiederherstellung und Erlösung Israels im biblischen Judäa und Samaria zu sehen.

Christen helfen praktisch

Initiiert wurde das ganze Projekt von Tommy Waller. Doch längst sind seine Frau, die Kinder und Schwiegerkinder involviert. Caleb, vierter Sohn der elf Kinder von Tommy und inzwischen selbst Vater von vier Mädchen, erinnert sich: „Mein Bruder Joshua und ich wurden als Zwillinge 1991 geboren. Zu der Zeit fiel meinem Vater auf, dass er als Manager im Logistikunternehmen FedEx 80 Stunden die Woche arbeitete und überhaupt keine Zeit für seine Frau und vier Kinder hatte. Er kündigte und musste sich nun selber versorgen. Als ich sieben war, zogen wir in die Amische Glaubensgemeinschaft, dort blieben wir für sieben Jahre.“

Im Jahr 2004 kam Tommy Waller zum ersten Mal nach Israel. Ein Freund machte ihn mit dem Winzer Nir Lavie aus Har Bracha bekannt. Dieser las ihm Jeremia 31,5 vor: „Du sollst wiederum Weinberge pflanzen an den Bergen Samarias; pflanzen wird man sie und ihre Früchte genießen.“ Kurz nach der „Zweiten Intifada“ hatten jüdische Landwirte und Winzer echte Probleme, sie konnten keine Araber mehr beschäftigen und kämpften um ihre Existenz. Der Bibelvers berührte Tommy: „Seit Tausenden von Jahren reden wir Christen über diese alten Prophetien, aber hier werden sie Wirklichkeit!“

Für Waller war klar: „Das ist eine tolle Möglichkeit für Christen, zu zeigen, dass sie hinter dem jüdischen Volk stehen.“ Zu der Zeit wurde eine Dokumentation über die Familie Waller gedreht. Caleb berichtet: „Da war dieser Produzent aus Hollywood, der die Nase voll hatte von all dem Müll, den sie dort produzierten. Er wollte einen Film drehen, um Väter zu ermutigen, echte Väter zu sein und zeigte die Geschichte meiner Eltern mit ihrer radikalen Entscheidung, Vater und Mutter zu sein. 2004 wurde der Film ‚A Journey Home‘ über unsere Familie veröffentlicht und gewann die Auszeichnung ‚beste Dokumentation des Jahres‘. Er lief in Millionen von Haushalten, und plötzlich waren wir nicht mehr die einfache Familie aus Tennessee, sondern die Leute kannten uns und Tausende wollten mit uns in Kontakt sein. Meine Eltern verkauften ihre Farm bei den Amisch, und wir zogen zu meinen Großeltern. Von den 40.000 Dollar, die uns aus dem Verkauf blieben, und mit dem neuen Bekanntheitsgrad gründeten wir die Organisation HaYovel.“

Juden und Christen Seite an Seite

Ursprünglich sei die Familie nach Israel gekommen, um zu evangelisieren, erklärt Caleb. „Doch als wir Beziehungen mit den Juden aufbauten, erkannten wir schnell die Arroganz der christlichen Gemeinschaft. Ich selbst kam mit 14 Jahren das erste Mal hierher, an einen jüdischen Ort. In meiner Trotzphase zog ich zu einem Schabbat-Essen ein Hawaii-Shirt an. So ging ich auch zur Synagoge. Alle hatten sich herausgeputzt und weiße Hemden angezogen. Plötzlich stellte ich fest: ‚Ich passe nicht hierher.‘ Und dann sah ich die Leute in der Synagoge beten. Plötzlich sah ich diesen Mann, tief in sein Gebetbuch versunken und die Psalmen lesend. Seine Tochter kam und kletterte an ihm hoch, doch er ließ sich nicht in seiner Andacht stören. Das war der Moment, in dem ich dachte: ‚Niemals in meinem Leben werde ich gegen das Leben sprechen, das ich hier sehe.‘ Dieses Erlebnis hat meine ganze Einstellung zum jüdischen Volk verändert, denn ich merkte, dass diese Leute etwas Tieferes haben, als wir ahnen. Ich habe gelernt: Ich komme nicht nach Israel, um die Juden zu verändern, sondern um mich selbst zu finden und meinen Platz bei Gott. Wenn du kommst, um Israel dich verändern zu lassen, wirst du auch deinen Platz hier finden.“ Die Worte sprudeln aus Caleb heraus, als er von den Anfängen erzählt. Doch dann kommt er zur Gegenwart: „Har Bracha war die antichristlichste Siedlung in ganz Israel, aber heute haben wir richtig gute Beziehungen.“

In den ersten Jahren mietete das Team von HaYovel fünf bis sechs Wohnungen in Ariel und brachte die Leute mit Bussen in die Weinberge. Caleb berichtet weiter: „Dann bot uns Jacob Berger, ein Weingutbesitzer aus Psagot, an, bei ihm zu wohnen. Also wohnte ein Teil bei ihm und ein anderer Teil in Har Bracha. Das war nicht sehr angenehm. Doch ein Jahr später, 2012, kam Rabbi Elieser Melamed, der Rabbiner von Har Bracha, auf uns zu und bot uns an, einen ungenutzten Teil des Landes zu beziehen.“ Caleb erinnert sich: „Das war ein gewaltiger Moment!“

Caleb schätzt den Rabbiner: „Rabbi Melamed ist sehr respektiert. Eigentlich ist er sogar unser Rabbiner, denn er hat ein großes Herz für die Nationen und glaubt, dass diese in den Wiederherstellungsprozess eingebunden werden müssen. Eines Tages kam er zu meinem Vater und sagte: ‚Tommy, es macht mir große Angst, aber auf der anderen Seite bin ich super aufgeregt, dass ich zusammen mit euch Teil davon sein kann.‘“ Er sprach von der Prophetie in Jesaja 52,7–10: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! … Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.“

Zukünftige Hoffnung für die Welt bauen

Caleb ist begeistert. An Europäer gewandt appelliert er: „Eine der größten Chancen, unsere Liebe zu Gott, der Bibel und seinem Volk zu erweisen, spielt sich zur Zeit in den Bergen Israels ab. Wer in den Betrieben und Farmen der Juden volontiert, wird nicht nur die Wunden der Vergangenheit heilen, sondern auch die zukünftige Hoffnung für die Welt bauen. Während die Welt zu zerbrechen droht, ersteht Israel aus 2.000 Jahren Wüstenei, um das Licht zu sein, zu dem es bestimmt ist. Wir haben das Privileg, einen kleinen Teil davon mitbauen zu dürfen.“

Anfang November war HaYovel mit jüdischen Partnern in die Knesset eingeladen. Dort durften sie einen Film über die Prophetien und die Wiederherstellung Israels zeigen. Calebs Freude ist groß: „350 Leute füllten den Saal! Es war ein beispielloser und historischer Moment für Christen und Juden, die zusammenkamen, um die prophetischen Zeiten, in denen wir leben, anzuerkennen. Juden heißen Christen mit offenen Armen willkommen, um an ihrer Seite das Herzland von Israel wieder aufzurichten.“

Seit 2004 hat HaYovel etwa 2.500 Volontäre zur Weinernte nach Israel gebracht. Im Sommer 2017 ernteten etwa 230 Freiwillige 444 Tonnen Weintrauben, die zu 288.600 Flaschen Wein verarbeitet werden können. Außerdem bepflanzten sie fünf Morgen Weinberge neu. Die Daten für die Weinernte im Jahr 2018 stehen schon fest: 5. September bis 17. Oktober. Freiwillige aus aller Welt sind herzlich willkommen. Der Teilnahmebetrag beträgt für Erwachsene etwa 1.800 Euro.

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 6/2017 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915152, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online.

Von: mh

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